Stimme der Partei / Ausgabe 95 / November-Dezember 2018 Haben wir die Angewohnheit, über revolutionäre Aufgaben, politische und organisatorische Fragen nachzudenken, die Eigenschaft, Zeit zum Nachdenken einzuplanen? Stellen wir die revolutionäre Entwicklung der Partei oder unsere persönliche revolutionäre Entwicklung häufig in unserem Geist in Frage? Oder ist es regelrecht zur Routine geworden, ohne ausreichende Vorbereitung auf Treffen zu gehen, bei der Bestimmung von Einzelheiten im Prozess von politischen Kampagnen beschränkt zu bleiben und unsere Tage und Wochen planlos zu verbringen oder keine Organisatorische Entwicklungsstrategie für unseren Bereich zu erstellen? Wenn das so ist, rühren dann all diese Versäumnisse tatsächlich daher, dass wir praktisch so beschäftigt sind? Wie oft wurden wir von Genoss*innen dafür kritisiert, oberflächlich an Probleme heranzugehen oder ohne ausreichend nachzudenken zu Handeln? Und haben wir solche Kritik damit beantwortet, unser Level an aufgebrachter geistiger Arbeit zu erhöhen? Ist uns klar, dass ein prozentuales Verhältnis zwischen der Intensität unserer geistigen Arbeit und der Entwicklung unseres revolutionären Bewusstseins besteht? Wir wissen, dass eines der historischen Hauptgründungselemente des Begriffes der leninistischen Partei die Idee, dass der Arbeiterklasse das revolutionäre Bewusstsein von Außen gebracht wird ist. Die Betonung auf das "von Außen" bedeutet hier, dass die Revolutionierung der Arbeiterklasse nur außerhalb des Gegensatzes ArbeiterChef, über den ökonomisch gewerkschaftlichen Kampf des Arbeiters hinaus gehend, mit der Ansammlung des Bewusstseins aller gesellschaftlichen Probleme möglich ist. Aber das "von Außen" bezieht sich gleichzeitig auch auf die Rolle des Katalysators, die die Vorhutrevolutionäre der Partei bei der Revolutionierung des Bewusstseins der breiten Massen der Arbeiterklasse spielen. Anders ausgedrückt, dadurch, dass die Arbeiterklasse durch die kommunistische Partei revolutionäres Klassenbewusstsein erlangt, erhebt sie sich vom Stand einer "Klasse an sich" auf den Stand einer "Klasse für sich". Also gehören für die kommunistische*n Militant*innen, die das revolutionäre Bewusstsein der Arbeiterklasse in ihren Gedanken und ihrer Praxis verkörpern, denken, Sinn und Ziel geben, erhellt werden und erhellen zu den grundlegenden Elementen ihres revolutionären Daseins. Das muss zwangsläufig so sein, denn Bewusstsein entsteht vor allem durch geistige Aktivität und gedankliche Kraft, durch sich auf Gedanken stützende ideologische Sichtweisen. In dieser Hinsicht können wir den Ausspruch von Lenin "ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben" nicht nur als notwendige Existenzbedingung für die Partei kommentieren, sondern auch für die der kommunistischen Militant*innen, also für seine Disziplin, geistige Arbeit zu leisten, nachzudenken und zu hinterfragen, seinem Handeln Sinn zu verleihen. Verstehen, begreifen, hinterfragen, kritisieren, Selbstkritik leisten, problematisieren, lösen, eine Lösung produzieren, planen, etwas vorschlagen, etwas vorhersehen, sich etwas vorstellen, einen Gedanken bilden... All diese Tätigkeiten, die Ausdruck einer effektiven und schöpferischen Arbeit, der aktiven kollektiven Gestaltung der kommunistischen Militant*innen sind, fallen unter „denken". Die aktive kollektive Person handelt, indem sie über Ereignisse auf der Welt, in der Region, in der Türkei und in Kurdistan, über ihre revolutionären Aufgaben und Verantwortungen, über politische und organisatorische Angelegenheiten, über die Bedürfnisse der Entwicklung der Partei und die Fragen der eigenen persönlichen Entwicklung nachdenkt. Wir können also sagen, das „Denken" eine der kommunistischen Persönlichkeit eigene Eigenschaft ist. Und darüber hinaus ist es für sie schon für sich genommen eine Aktion. Der Kapitalismus begrenzt die geistige Kapazität der Person mit dem ihr Beigebrachten auf das, was für die Schaffung von Profit und die Leitung des Staates notwendig ist. Er macht die Denkfähigkeit der Werktätigen einseitig und stumpft sie ab. Der Kommunismus hingegen befreit im Gegenteil dazu die Denkfähigkeit von allen ihr angelegten Ketten und macht die geistige Entwicklung der Werktätigen unendlich. Der/die kommunistische Militant*in ist eine Person, die dies vor allem in ihrem eigenen Handeln umzusetzen versucht. Deshalb verliert das Revolutionärsein seine Bedeutung in dem Maße, wie es denken, begreifen, hinterfragen, kritisieren und entwerfen nicht beinhaltet. Praxis ohne Nachdenken oder unbewusstes Handeln, ein schwaches oder mangelndes subjektives revolutionäres Eingreifen in die gegebenen Bedingungen, der Strudel der Spontanität, in den das Subjekt bei der Anleitung der eigenen Entwicklung gerät und sogar die innere Begrenztheit der revolutionären Subjektwerdung. Die geistige Arbeit in der revolutionären Tätigkeit entspricht der Stabsarbeit im Krieg. Jeder ernstzunehmende Erfolg im politischen Kampf und der Praxis des Organisierens, sei es auf kollektiver oder persönlicher Ebene, erfordert geistige Arbeit, Stabsarbeit, Produktivität am Schreibtisch. Das Thema der geistigen Arbeit kann das Vorbereiten eines Treffens, die Planung einer Kampagne, das Schreiben eines Berichtes, der Erarbeitung einer organisatorischen Entwicklungsstrategie, die Lösung einer aktuellen Kader oder Organisationsfrage oder die Planung des Tages/der Woche/des Monates sein. Den Stab im Geiste kann man auch auf einer Busfahrt von einer Stadt in die andere errichten. Oder auf einem Stuhl in einem kleinem Café, oder auch beim Rundgang durch die Gefängniszelle. Ohne Zweifel ist es für eine gedankliche Vertiefung am effektivsten mit einem Computer oder mit Stift und Papier an einem Tisch zu sitzen und die Gedanken schriftlich festzuhalten. Das Wesentliche der Sache ist aber in jedem Fall, uns die Aufgabe zu stellen nachzudenken und dafür genügend Gelegenheiten zu schaffen. Nehmen wir an Organtreffen teil, indem wir vorher über die Tagesordnungspunkte nachdenken und uns schriftlich vorbereiten? Oder finden wir keine Zeit zur Vorbereitung weil wir soviel zu tun haben und entwickeln unsere Auswertungen und Vorschläge direkt auf dem Treffen selber? Wenn wir nicht die erste, sondern die zweite Frage mit ja beantworten dann heißt das, dass wir kein Recht darauf haben, uns über die Länge der Treffen, die Begrenztheit der Diskussionen, darüber, das nicht über Einzelheiten nachgedacht wird und keine Beschlüsse zu den anstehenden Problemen gefasst werden zu beschweren. Denn wenn in unserem Organ solch ein Zustand der Treffen auftritt, so ist offensichtlich dass unser gedankliches unvorbereitet sein auch dazu beiträgt. Wenn man sich aber schriftlich auf das Treffen vorbereitet und vorher Ideen zu den Tagungsordnungspunkten entwickelt ist die Qualität der Diskussion, Analyse und die Lösungskraft, der Beitrag zu der politischorganisatorischen Arbeit im Allgemeinen um einiges höher. Verstehen wir das Schreiben eines Berichtes als Routine, als Erfüllung einer organisatorischen Prozedur? Oder betrachten wir es nur als eine Aufgabe, dem übergeordneten Organ ein Mittel in die Hand zu geben, damit eine effektive Kontrolle durchgeführt werden kann? Eine derart routinierte und eingeschränkte Auffassung der Arbeit des Berichte Schreibens dient nicht dazu, dass sowohl das Organ als Ganzes als auch der Organsekretär die Probleme der revolutionären Arbeit in dem Bereich analysiert und Wege für ihre Entwicklung entdeckt. Leider überrascht es nicht, wenn sich bei einigen Fragen, die einen Kommentar erforderlich machen ohne die geringste geistige Anstrengung zu unternehmen damit zufrieden gegeben wird „ja" oder „nein" zu sagen. Aber nur wenn wir die vorzubereitenden organisatorischen Berichte zu einem Mittel der gedanklichen Vertiefung machen indem wir selber eine Auswertung des Zeitraums der revolutionären Tätigkeit in unserem Arbeitsbereich vornehmen, wir die Fragen in ihrer Gesamtheit untersuchen, vorrangige Bedürfnisse bestimmen und Möglichkeiten der Entwicklung aufdecken, nur wenn wir so an die Berichte herangehen können wir erreichen, dass der Bericht voll und ganz eine revolutionäre Rolle spielt. Wir können das Berichte schreiben zu einer Stufe zu einer qualitativ höheren politischorganisatorischen Tätigkeit machen indem wir die geistige Arbeit erhöhen, die wir in den Bericht stecken. Ist es für uns zur Normalität geworden, die Publikationen nicht pünktlich zu lesen und die Leselisten gleich nachdem wir angefangen haben wieder beiseite zu legen? Viele von uns klagen darüber, dass sie so viel zu tun haben, dass sie keine Zeit finden Bücher zu lesen. Vielleicht gibt es sogar welche unter uns die sagen, dass sie keine Gelegenheit finden, die Publikationen der Partei regelmäßig zu verfolgen. Wenn das so ist, aus welcher kollektiven Quelle beziehen wir dann unsere ideologische und organisatorische Nahrung, wie erweitern wir unseren theoretischen und politischen Horizont? Wann zerbrechen wir uns den Kopf über die Mittel und Wege, die Parteilinie in unserem Bereich anzuwenden, die Politik der Partei umzusetzen? Zu sagen, dass man vor lauter praktischer Arbeit keine Zeit zum Lesen findet ist in den meisten Fällen gleichbedeutend mit der Aussage „ich arbeite ohne nachzudenken". Darüber hinaus ist es Ausdruck davon, dass man sich vor Kopfarbeit drückt, mit auswendig Gelerntem und vom Hörensagen Aufgeschnapptem, als ohne Nachzudenken handelt, und nicht einmal das Bedürfnis verspürt, diese Schwäche zu überwinden. Wir behaupten, dass wir über die Eigenschaft einer geplantenzielgerichteten Arbeit verfügen, aber unser Organ hat keine organisatorische Entwicklungsstrategie. In unseren Berichten schreiben wir von dem Erfolg in der Planung Prioritäten festzulegen, gleichzeitig aber davon, dass wichtige Aufgaben vernachlässigt wurden, weil soviel zu tun war. Oder der Organsekretär antwortet auf die Frage, für welche Zeiträume er auf persönlicher Ebene Pläne gemacht hat, dass das Organ Pläne für diesen und jenen Zeitraum hat. Arbeiten wir wirklich nach einem Plan? Plan bedeutet eine Bewegung zu ersinnen, die im Rahmen von Zeit und Raum, gebunden an ein konkretes Ziel, die vorhanden Kräfte, Mittel und Möglichkeiten in der besten Art und weise nutzt. Also planen ist für sich genommen eine gedankliche Aktion, man stellt sich im Vorhinein abstrakt im Geist das vor, von dem man will, dass es sich ereignet. Um eine Arbeit zu planen müsst ihr euch erst mal über das Ziel im Klaren sein, euch muss bewusst sein, wofür ihr was machen wollt. Über das Ziel nachzudenken ist gleichzeitig der Beginn davon, über den Weg nachzudenken, der zu dem Ziel führt. Anschließend solltet ihr analysieren. Im Geiste einen Überblick über die Informationen und Erfordernisse der Arbeit, die Eigenschaften der Kräfte, die die Arbeit durchführen sollen, die Lage der Gegenkräfte, die vorhandenen und potentiellen Möglichkeiten haben. Die Reihenfolge der Prioritäten muss festgelegt und berechnet werden, was auf jeden Fall passieren muss und welche Aspekte vernachlässigt werden können. Im Zusammenhang damit solltet ihr auch den Ort der Arbeit, die Arten der Durchführung, die Kader*innen und Gehilf*innen, technische Mittel und Fahrzeuge, Finanzquellen und natürlich die Zeit festlegen. Wie man bei dieser kurzen Darstellung gleich sieht ist planen ein Feld gedanklicher Vertiefung und lässt gedankliche Faulheit und Vernachlässigung nicht zu. Zum Beispiel nicht ausreichend über den Zusammenhang der Arbeit mit dem Ziel nachzudenken führt zu einer fehlenden Zukunftsperspektive, dazu, den Tag zu retten aber die Zukunft zu verlieren. Wenn die Analyse zu kurz kommt wird nicht verstanden werden, dass manchmal eine revolutionäre Strafaktion wertvoller als 100 Pressekundgebungen sein kann und manchmal eine Pressekundgebung einen großen Wert dafür haben kann, einen politischen Reflex zu zeigen. Oder wenn organisatorische Tätigkeiten durchgeführt werden, ohne über die Reihenfolge der Vorrangigkeit nachzudenken dann wird das in einer chaotischen, unergiebigen Rennerei ohne Ergebnis enden, obwohl viel revolutionäre Energie verausgabt wurde. Einer der wichtigsten Makel der kommunistischen Militant*innen in der politischorganisatorischen Arbeit besteht darin, dass die revolutionäre Spontaneität eine persönliche Eigenschaft ist, dass nicht weiter als ein paar Tage im voraus gesehen werden, eigentlich dass darüber nicht nachgedacht wird. Wir sind zum Beispiel dafür verantwortlich, die Teilnahme an einer Kundgebung zu organisieren. Aber wenn unsere Kräfte auf dem Kundgebungsplatz zerstreut sind und niemand damit beauftragt wurde, sie zu ordnen, wenn die Parolen nicht festgelegt wurden oder die Transparente ohne jede Sorgfalt vorbereitet wurden, dann können wir daraus vor allem die Schlussfolgerung ziehen, dass bei der Planung der revolutionären Arbeit Versäumnisse aufgetreten sind, dass wir nicht ausreichend über die Erfordernisse der Arbeit nachgedacht haben. Probleme gleicher Art können durchaus auch auf eine politischmilitärische Aktion oder die Arbeit einer politischen Publikation zutreffen. Eine politischmilitärische Aktion, über deren Eigenschaft des Zieles, die vorher zu sammelnden Informationen, die für die Aktion am besten geeignete Methode und Taktik, die Alternativen für den Rückzug nicht im Detail nachgedacht wurde oder eine politische Zeitschrift, bei der nicht tief gehend über die politischen Prioritäten der Partei, die Auswahl der Artikelthemen, Korrektur der Tippfehler, die äußere Anziehungskraft nachgedacht wurde, werden, also ob es Schicksal sei, aufgrund des Mangels an geistiger Arbeit mit einem äußerst niedrigem Erfolgsniveau konfrontiert sein. Revolutionäre Arbeit ist veränderndes praktisches Eingreifen in die gegebene Objektivität des „Jetzt". Die jetzige Situation entsteht aus den Bedingungen der Vergangenheit und den ihr innewohnenden Möglichkeiten und sie trägt in sich ebenso die Bedingungen und Möglichkeiten der Zukunft, die sie bestimmt. Darüber nachzudenken ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche verändernde Praxis, dafür, dem Handeln bewusst eine Richtung zu geben. Jemand, der ohne nachzudenken schaut, wird das „Jetzt" nicht wie einen bewegten Film, die verschiedenen Entwicklungen nicht in ihrem Zusammenhang, nicht zusammen mit dem davor und dem danach, im Hinblick auf die revolutionären Möglichkeiten die in ihm stecken sehen, sondern nur wie ein fast gänzlich in Bewegungslosigkeit erstarrtes Bild erblicken. Geistige revolutionäre Arbeit hängt unmittelbar mit dem Subjektbewusstsein, dem bewussten und willentlichen Anleiten der Tätigkeit des/der kommunistischen Militant*in zusammen. Das Gegenstück zu gedanklicher Faulheit und schwacher Kopfarbeit in der revolutionären Arbeit ist Oberflächlichkeit, Unergiebigkeit, Stecken bleiben und Positionsverlust. Die Angewohnheit, nicht ausreichend nachzudenken, mechanisch und unsystematisch zu handeln ist eine der Hauptursachen dafür, dass vermeidbaren Fehlern nicht vorgebeugt wird, lösbare Probleme nicht gelöst werden. Wenn die Angewohnheit ein*r kommunistischen Militant*in zu denken schwach ausgeprägt ist, sollte er/sie sich willentlich darum bemühen, die Gewohnheit zu denken zu erlangen. Die ersten Schritte für das Aufbringen des Willens dafür können sein sich selbst zu disziplinieren, vielleicht manchmal sogar zu zwingen, zu lesen und über das Gelesene nachzudenken, Zeit für die Vorbereitung eines Treffens zu investieren, die aktuellen politischen Entwicklungen regelmäßig zu verfolgen und zu kommentieren, zu problematisieren, wie man die übernommene revolutionäre Aufgabe noch besser umsetzen kann oder sich hinzusetzen und eine Woche im Einzelnen zu planen. Damit wird jede*r Genoss*in zur Genüge auf die Probe stellen können, dass eine revolutionäre Praxis, die die Kraft und Angewohnheit des Denkens in sich birgt, keinerlei Hindernisse kennt.
|