Internationales Bulletin / Nr. 202 / September 2019
In der Nacht zum 19. August wurden in verschiedenen Städten Nordkurdistans über 400 HDP und BDP Mitglieder verhaftet. Am morgen darauf wurde klar, warum es dazu kam: Zwangsverwaltungen wurden durch das faschistische Palastregime in den kurdischen Großstädten Amed, Mardin und Wan eingesetzt und die Reaktionen darauf sollten durch die Verhaftungswelle verhindert werden. Die demokratisch gewählten Ko-Bürgermeister*innen wurden abgesetzt und ihnen wurde der Einlass in die Kommunalverwaltungen verwehrt. Die Praxis der Zwangsverwaltungen ist nichts Neues und wurde erstmals am 4. September 2016 durch den AKP -Faschismus gegen fas hundert Kommunen umgesetzt, nachdem ein misslungener Putschversuch infolge innerstaatlicher Machtkämpfe zur Ausrufung des Notstands geführt hatte. Als Grund für die Zwangsverwaltungen, für die es keine rechtliche Legitimation gibt, nannte das Innenministerium die Praxis der Ko-Bürgermeister*innen, welche als Gewinn des Frauenbefreiungskampfes in Nordkurdistan de-facto umgesetzt wird. Gleichzeitig sollen „Terror-Organisationen" über die Kommunen finanziert worden sein. Dieser Angriff des politisch-islamischen faschistischen Regimes war nicht überraschend, im Gegenteil hatte der faschistische Chef bereits im Rahmen der diesjährigen Kommunalwahlen am 31. März verkündet, Zwangsverwalter einzusetzen. Die Wahlen, die zu einer Niederlage der AKP in den wichtigsten Metropolverwaltungen geführt haben, verdeutlichen den Machtverlust des Regimes. Die Kommunalverwaltungen dienten auch als wichtige Finanzquelle um Korruption und Vetternwirtschaft für seine eigene Machtbasis zu sichern. Unzählige Belege über manipulierte Zahlungen, Erwerb von Luxusartikeln und Geschenken etc. werden momentan in den von der AKP zurückgewonnenen Kommunen aufgearbeitet. Nach der Wahlniederlage konnten auch erzwungene Neuwahlen in Istanbul diesen Verlust nicht wieder rückgängig machen. Mit den Kommunalwahlen, bei denen in Amed 63%, in Mardin 53% und Wan 59% für die HDP gestimmt haben, hatte das Volk ihren Willen gegen die Zwangsverwaltungen zum Ausdruck gebracht. Dieser Willensausdruck war ein entscheidender Schlag gegen den Kolonialismus, der mit den Zwangsverwaltungen nicht nur das Wahlrecht zerschlägt, sondern auch den Kurd*innen jegliches Bürgerrecht abspricht. Der faschistische Staat wollte nach der Wahlniederlage mit diesem Angriff psychologische Überlegenheit erlangen und Rache am kurdischen Volk nehmen, in einer Zeit, in der die Guerilla immer effektivere Angriffe auf den Feind verübt und in der Türkei verschiedene Massenbewegungen und -kämpfe im Entstehen sind. Gleichzeitig waren diese Angriffe in Nordkurdistan eine Probe für den Faschismus, mit der er die Reaktionen messen und zukünftige Angriffe in den Metropolen Istanbul, Ankara und Izmir planen will. Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen. Die Reaktionen auf die Zwangsverwaltungen folgten sofort. Dutzende patriotische Sozialist*innen und Kader*innen der kurdischen Freiheitsbewegung stellten sich den Wasserwerfern in den Weg und riefen der faschistischen Staatsgewalt ins Gesicht: „Wir schweigen nicht, wir fürchten uns nicht, wir beugen uns nicht!". Sie ebneten mit ihrer avantgardistischen Aktion die Proteste mit Hunderten von Menschen und verbreiteten Mut und Entschlossenheit. Mütter mit weißen Kopftüchern, die während der Hungerstreikaktionen in Bewegung getreten sind, gingen erneut auf die Straßen. In den sozialen Medien verbreiteten sich die Aufrufe der Sozialist*innen wie ein Lauffeuer: „Das Volk von Amed leiset Widerstand für seinen Willen. Es wird ihren Willen nicht dem Faschismus und dem Palast beugen. Dieses Feuer wird sich überall hin ausbreiten. Wir rufen alle demokratischen Kräfte der Türkei, das türkische Volk dazu auf, ihre Hand dem kurdischen Volke zu reichen, zusammen zu kämpfen, ihre Stimme heute zu erheben, um unsere Zukunft gemeinsam zu bilden." Die Aktionen gegen die Zwangsverwaltungen, die bis heute jeden Tag in Form von Kundgebungen und sit-ins andauern, verdeutlichen, dass sich die kämpfende Massenbewegung in den letzten Jahren infolge des massakrierenden Staatsterrors zwar zurückgezogen hatte, aber das Potential und die Erfahrungen der letzten Jahre immer weiterwachsen. Der Widerstand gegen die Staatsgewalt ist zudem eine wichtige Quelle der Moral geworden, mit der die zukünftigen Aktionen an Stärke gewinnen werden. Für uns Kommunist*innen bedeutet dieser neue Angriff des Faschismus, die „Dritte Front" der Arbeiter*innen und Unterdrückten zu stärken. Mit unserer revolutionären Taktik für die Wahlen hatten wir auf die Risiken des Wahlkampfes aufmerksam gemacht. Es geht unter faschistischen Verhältnissen nicht nur um den Wahlkampf und um die Ergebnisse, sondern damit einhergehend um die Organisierung des antifaschistischen Volkswiderstands. Nur wenn der Wahlkampf mit einem Straßenkampf verbunden wird, kann der kollektive Wille verteidigt werden. Auf bürgerliche, staatstragende Kräfte, wie die CHP , darf keine falsche Hoffnung gesetzt werden, sie sind keine Kraft, die den Faschismus zerschlagen wird und beschützen den kolonialistischen Staat zu jeder Zeit. Mit unserer Linie der aktiven Verteidigung und des vereinigten antifaschistischen Widerstands werden wir den praktisch-legitimen Kampf durch die reiche Anwendung aller Mittel und Formen des Kampfes voranbringen und die Avantgarde wird ihrer Rolle gerecht werden.
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