Internationales Bulletin / Nr. 206 / Januar 2020
Das imperialistische Dschungelgesetz ist letztendlich das höchste und verbindlichste Gesetz für den kapitalistischen Imperialismus. Wenn alles in geregelten Bahnen verläuft, gelten Internationales Recht, Institutionen etc., es besteht in gewisser Weise eine Regulierungsinstanz, aber sobald sich der Status quo verschlechtert, ist das einzige geltende Gesetz das Recht des Stärkeren, bis ein neues Kräfteverhältnis hergestellt ist. Qassem Soleimani war ein offizieller Beauftragter des Iran und Abu Mahdi Al-Muhandis einer des Irak. Es ist keine gewöhnliche Sache, dass der US-Imperialismus diese beiden Vertreter tötete. Ab jetzt herrscht das imperialistische Dschungelgesetz. Attentate, Massaker, Folterungen und Besatzung sind unverzichtbare Begleiter der imperialistischen Welt, ohne die eine bürgerliche Hegemonie nicht denkbar ist, die aber zu „normalen Zeiten" noch nicht anstelle einer etablierten internationalen Regulierung und Legalität treten können. Entweder werden sie als verdeckte Handlungen ausgeübt oder auf irgendeine Weise der internationalen Legalität angepasst. Man nehme zum Beispiel die Vergiftungen von Jassir Arafat, Chavez, unzählige geheime Attentate auf Castro usw. Aber dieses offiziell ausgeübte Attentat ist eine Aktion, mit der der US-Imperialismus die üblichen Normen zersprengt. Darum geht es hierbei um mehr als nur ein Problem zwischen den USA und dem Iran. Dies hätte zwischen den USA und jedem anderen Land passieren können. Der Mittlere Osten ist im Visier, da es das gegenwärtige Zentrum des imperialistischen und regionalen Hegemoniekampfs ist und der Iran, da er Hauptakteur der regionalen Hegemonie ist. Mit diesem Attentat haben die USA Botschaften an die Türkei, Nordkorea, China, Russland und andere übermittelt. Warum wurde dieses Attentat ausgerechnet jetzt ausgeübt? Der kapitalistische Imperialismus steckt in einer vielschichtigen Krise. Die wirtschaftliche, politische und ideologische Krise ist miteinander verflochten, wir nennen es die existenzielle Krise des Kapitalismus. Das kapitalistische Gesetz der ungleichen Entwicklung manifestiert sich mit all seiner Gewalt. Wir erleben gerade die Hegemoniekrise des kapitalistischen imperialistischen Systems. Die wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Institutionen, die die Welt formen, sind unwirksam geworden. Kapital und Militär sind zu den beiden Hauptinstrumenten des Hegemonialkampfes zwischen den Kapitalisten geworden. Wenn die Dinge „normal" verlaufen, wird das Kapital zur Determinante der Hegemonie, in Krisenzeiten rückt das Militär in den Vordergrund. Krieg ist das einzige Mittel zur Lösung von Widersprüchen in jeder Situation, in der der imperialistische Konkurrenz zunimmt. In solchen Zeiten ist es der Kriegszustand, der alle politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und diplomatischen Beziehungen bestimmt, bis die neue Hegemonieordnung etabliert ist. Der kapitalistische Imperialismus konnte die Krise von 2008 nicht überwinden. Der US-Imperialismus ist nicht in der Lage, wie in der Vergangenheit die Weltwirtschaft und -politik zu führen und das Weltsystem zu bestimmten. Deshalb ist seine gesamte Politik darauf ausgerichtet, diesen Machtverlust zu stoppen und die Entwicklung von Konkurrenten zu verhindern. Er versucht, seine Hegemonie durch militärische Macht zu schützen, da er das mit der Macht des Kapitals nicht ausreichend schafft. Andere imperialistische Länder konzentrieren sich ebenfalls auf die Entwicklung der Kriegsindustrie. Der Wettbewerb um neue Produktionstechniken wird durch neue Waffen, Raketen, etc. ersetzt. Nachdem die Hegemoniekrise einsetzte, versuchten die Regionalmächte, das „Vakuum" auszunutzen. Die Bestrebungen des Iran und der Türkei regionale Hegemonie zu erlangen, sind die beiden wichtigsten Beispiele dafür. Das Hauptwerkzeug dieser Hegemoniebemühungen ist der effektivste Einsatz von Kriegsmacht. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise verschärft sich die Konkurrenz um die Kontrolle der Rohstoffressourcen. Der Mittlere Osten ist einer der wichtigsten Gebiete fossiler Brennstoffe, die für die kapitalistische Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Die Beherrschung der Region wird einen großen Vorteil im Kampf um die Hegemonie bedeuten. Der Iran ist zum Hauptkonkurrenten des US-Imperialismus in der Region geworden. Auf der Grundlage einer konfessionellen Organisierung errichtete dieser im Irak, im Jemen, in Syrien und im Libanon das, was er als „Achse des Widerstands" bezeichnet. Qassem Soleimani war Kommandeur dieser Achse und genau daher kommt die symbolische Bedeutung dieses Attentats. Dies ist der Grund, warum das Attentat für den Iran als solch ein schwerer Schlag empfunden wird: Der Angriff auf Soleimani richtete sich gegen diese Achse und wenn diese Achse gebrochen wird, kann das derzeitige iranische Regime zerstört werden. Wie wird der Iran reagieren? Der Iran wird effektiv auf diesen Angriff reagieren wollen. Geschieht dies nicht, muss er sich den Forderungen des US-Imperialismus anpassen und die „Achse des Widerstands" zerbrechen lassen. Der Iran wurde angesichts des Angriffs allein gelassen. Die EU, die zu den USA stehen, die schwachen Reaktionen Russlands und Chinas und die mangelnde Absicht, ein Abenteuer für den Iran zu wagen, sind große Nachteile für den Iran. Die Tendenz geht in Richtung eines politisch-militärischen Kampfes, der die USA zwingen soll, den Mittleren Osten zu verlassen. Unter diesen Umständen werden die USA, obwohl es in den USA unterschiedliche Tendenzen gibt, ihre ganze Macht einsetzen, um den Mittleren Osten nicht zu verlassen. Dies wird möglicherweise nicht sofort als direkter Krieg verlaufen. Es ist anzumerken, dass Saudi-Arabien genauso wie Israel an der Seite der USA gegen den Iran stehen und gemeinsam keine Gelegenheit verpassen wollen, sich in den Iran zu stürzen. Neue Angriffe für die Auflösung oder den Sturz des iranischen Mullah-Regimes werden nicht von der Tagesordnung gestrichen. Es herrscht ein „Kriegszustand". Sobald ein Kriegszustand eingetreten ist, kann manchmal eine Kugel den gesamten Prozess bestimmen. Was ist die Haltung der Revolutionäre? Der Angriff des US-Imperialismus muss natürlich verurteilt werden. Die Ablehnung des US-Imperialismus bedeutet jedoch nicht, das reaktionäre faschistische Regime des Iran zu unterstützen. Einige linke Bewegungen unterstützen den Iran gegen die Vereinigten Staaten als ein Erfordernis des Antiimperialismus. Dies sind in der Tat archaische Linke, die sich nicht der Veränderungen im kapitalistischen Imperialismus bewusst sind. Wir befinden uns im Stadium der imperialistischen Globalisierung. In der Phase des Imperialismus waren die nationalen Befreiungskämpfe gegen den Kolonialismus und den Semikolonialismus ein Schlag für den Imperialismus und seine Gefolgsleute gewesen und dienten dem Aufstieg der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten zum Sozialismus. Obwohl sie von der nationalen Bourgeoisie angeführt wurden und das Hauptprogramm dieser Bourgeoisie darin bestand, die Hindernisse für die kapitalistische Entwicklung zu beseitigen, waren die nationalen Befreiungskämpfe gegen den Imperialismus demokratischen Charakters, denn der Imperialismus trieb die Kolonialpolitik an, indem er mit den wichtigsten Vertretern der Reaktion, der Kompradoren-Bourgeoisie und den Feudalen zusammenarbeitete. Jeder Kampf für die nationale Befreiung erforderte unweigerlich einen Kampf gegen diese innere Reaktion sowie gegen den Imperialismus. In der Zeit der imperialistischen Globalisierung ist die Situation anders. Die Imperialisten zwingen Kolonialländern auf, neue Arten von finanz-ökonomischen Kolonien zu bilden, um sie in ihrem eigenen Interesse in den Weltmarkt zu integrieren. Wo wirtschaftliche, politische und diplomatische Kräfte nicht ausreichen, werden militärische Kräfte eingesetzt. Die Invasion des Irak ist nur das Ergebnis eines solchen Prozesses und ähnelt dem brutalen Massaker von Gaddafi durch die NATO, die Libyen angriff, sobald der Bürgerkrieg ausgebrochen war. Im Gegensatz dazu, ist der Sprung in der finanz-ökonomischen Kolonisierung der Türkei, wo ein Beamter der Weltbank unmittelbar nach der Krise im Jahr 2001 „15 Gesetze in 15 Tagen" durchbrachte, ein „friedliches" Beispiel der Anwendung ökonomischer und politischer Gewalt. Die Herrschenden, die sich den Maßnahmen des Imperialismus widersetzen, haben rein gar keine fortschrittliche Qualität, im Gegenteil, sie versuchen, ihre reaktionäre faschistische Herrschaft aufrechtzuerhalten. Wenn der Kampf gegen den Imperialismus nicht mit dem Kampf gegen diese reaktionäre faschistische Herrschaft vereint wird, fällt er aus diesem Grund im Namen des Antiimperialismus in die Reserve der Reaktion und des Faschismus. Für Saddam im Irak oder Assad in Syrien einzutreten, bedeutet, auf eine solche Linie zu verfallen. Ähnlich ist die Situation im Iran. Das reaktionäre faschistische Mullah-Regime im Iran ist volksfeindlich. Das Mullah-Regime ist kapitalistisch. Eine Handvoll Reicher hat die Herrschaft. Hunderte von Menschen wurden bei dem jüngsten Volksaufstand gegen die Benzinpreiserhebungen massakriert. Das Mullah-Regime hält Ostkurdistan unter kolonialistischem Joch. Es verfolgt sowohl im Irak als auch im Iran eine volksfeindliche Politik. Hinter den Anschlägen auf den Volksaufstand im Irak steht auch das faschistische Mullah-Regime. Genauso ist es für die Anschläge verantwortlich, die nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Südkurdistan verübt wurden. Dieses Regime ist weder antiimperialistisch noch antikapitalistisch, nicht demokratisch und übt reaktionären faschistischen Repressionen gegen das Volk aus. Es konkurriert mit dem US-Imperialismus um die regionale Hegemonie. Das einzige Interesse des Volkes im Iran und der Region besteht nicht darin, die Seite des Imperialismus oder die Seite des reaktionären Regimes zu vertreten, sondern sich an der dritten Front mit dem Ziel einer antikapitalistischen Ordnung auf der Achse des Kampfes um politische Freiheit gegen beide Seiten zusammenzufinden. Die Angriffe des US-Imperialismus führen dazu, dass sich der Volkswiderstand gegen das Regime in einem reaktionären nationalistischen Wirbel verliert und müssen daher entschieden abgelehnt werden.
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