Der Streik vom 16. Juni hat die Polarisierung der Fronten etwas verschärft. Der legitime Kampf der Werftarbeiter und ihrer Gewerkschaft basiert auf der Linie des Klassengewerkschaft und zeigt den zu beschreitenden Weg im Kampf für Rechte und gegen neoliberale Angriffe.
01. Juli / Internationales Bulletin / Nr. 71
Am 16. Juni fand in den Werften von Tuzla in Istanbul ein bedeutender Streik statt, bei dem 60% der Produktion gestoppt wurde. Obwohl der Streik nur einen Tag andauerte, hatte er dennoch einen großen Einfluss. Sein Ausmaß und die Stärke ließen sich bereits vor dem 16. Juni fühlen und brachten den Streik sowohl auf die Tagesordnung der Arbeiterklasse als auch der Front der Bosse-Regierung-Polizei. Der Streik vom 16. Juni verschärfte die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft. Er brachte ans Tageslicht, welche Gewerkschaften und Einrichtungen eine militante Kampfhaltung in den Reihen der Arbeiterklasse haben und welche Kräfte im Sumpf der Gewerkschaftsbürokratie und des Reformismus feststecken.
Um die Bedeutung des Kampfes in den Werften von Tuzla zu verstehen, geben wir nachfolgend einige Informationen über die Werften:
Den Zahlen des Staates nach befinden sich 48 der in der Türkei vorhandenen 62 Werften in Tuzla. Auf diesem Gebiet der Werften gibt es insgesamt 563 aktive outgesourcte Firmen. 95% des Privatsektors Schiffsbau und der Reparaturindustrie befinden sich hier. Das Gebiet der Tuzla-Werften, das seit 2001 stetig gewachsen ist, nimmt weltweit Platz 5 in der Werftbranche ein und hat ein Exportvolumen von 2,5 Milliarden Dollar. Es wird vermutet, dass auf den Werften ca. 40.000 Arbeiter beschäftigt sind, obwohl in den Muttergesellschaften 5300 und in den outgesourcte Firmen ca. 8800 Arbeiter offiziell beschäftigt sind.
Auf dem Gebiet der Tuzla-Werften erinnern die Arbeitsbedingungen im wahrsten Sine des Wortes an die Sklavenhaltergesellschaft, es gibt keine Schutzmaßnahmen, jeden Tag gibt es Arbeitsunfälle, tödlich verlaufende Unfälle werden „übersehen" und gar nicht erst registriert.
Allein im Jahre 2006 gab es 5800 Unfälle. Die von den Gewerkschaften festgehaltene Zahl der Arbeiter, die bei diesen Arbeitsunfällen ums Leben kamen, beläuft sich jedoch auf 98. Allgegenwärtig sind Arbeits- und Lebensbedingungen, wo die Arbeiter sich morgens von ihren Familien regelrecht für immer verabschieden, weil sie zweifeln, on sie wiederkommen werden. Während sich die Bosse auf den Werften in der Organisation GIS-BIR zusammengeschlossen haben, ist die große Mehrheit der Arbeiter nicht organisiert. Das Schicksal der Werften, wo ohne Versicherung und das Recht auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gearbeitet wird, wo keine Schutzmaßnahmen getroffen werden und das ein Zentrum billiger Arbeitskräfte ist, hat sich nunmehr mit dem Kampf der Gewerkschaft
Limter-Is zu ändern begonnen.
Am 27. und 28. Februar 2008 traten die Werftarbeiter unter der Führung der Gewerkschaft Limter-Is, die ihren Kampf entsprechend der Klassengewerkschaftslinie führt, in einen zweitägigen Streik und zeigten somit, dass die Bedingungen am Arbeitsplatz nur durch den legitimierten Kampf de facto ändern können. Die Organisation der Bosse, die bis dahin die Gewerkschaft nicht als Ansprechpartner akzeptierte, musste diese Einstellung nach dem Streik ändern. Das Bewusstsein und die Erfahrung, die durch den Streik vom 27. und 28. Februar geschaffen wurden, hat dazu geführt, dass die Arbeiter geschlossener im Kampf für ihre Rechte eintreten.
Die Gewerkschaft Limter-Is, die das Recht der Werftarbeiter auf Leben verteidigt, führt seit 16 Jahren einen harten Kampf gegen die versklavenden Arbeitsbedingungen. Die Gewerkschaft musste bisher auch große Opfer bringen, aber hat dennoch ihren Weg fortgesetzt. 1999 wurde Genosse Süleyman Yeter, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft und kommunistischer Arbeiterführer, durch Folter ermordet. Führer der Gewerkschaft wurden dutzende Male festgenommen, geschlagen oder ins Gefängnis geworfen. Bei jedem Widerstand standen sie den Bossen, der Polizei und den Staatsgerichten gegenüber. Doch der Streik vom 16. Juni hat gezeigt, dass sie auch diese Hindernisse umgehen und entschlossen ihren weg fortsetzen.
Der Streik vom 16. Juni ist eine bedeutende Errungenschaft im Kampf der Werftarbeiter. Mit den Aktionen, die vor dem Streik durchgeführt wurden, wurde dieser auf die Tagesordnung breiter Massen der Gesellschaft gesetzt. Durch die Gewerkschaft, die die kontinuierlich stattfindenden und zum Tod führenden Arbeitsunfälle auf die Tagesordnung der Öffentlichkeit brachte, wird der Streik als legitim betrachtet und wurde breit unterstützt. Dutzende Gewerkschaften, Hunderte von Intellektuellen, Schriftstellern, Akademikern und Künstlern unterstützten den Streik. Die Studenten verließen die Kampusse und kamen in Massen zu den Werften. Die Unterstützung der Werftarbeiter durch die sich im Streik befindenden Arbeiter anderer Arbeitssektoren und die Solidaritätsaktionen, die am selben Tag des Streiks in vielen Städten der Türkei und Nordkurdistan stattfanden, machten Tuzla zu jenem Ort, an dem das Herz der Arbeiterklasse schlug. Die Solidaritätsbewegung ging über die Grenzen der Türkei und Nordkurdistans weit hinaus und zeigt sich auch in anderen Ländern.
Im Vorfeld des Streiks überlegten sich die Bosse so einiges, um den Streik zu brechen: So bedrohten sie die Arbeiter mit Entlassung und unternahmen Bemühungen, um manche Arbeiter in Polizeibegleitung zum Arbeitsplatz bringen zu lassen. Auch die bürgerlichen Medien propagierten nur negatives über den Streik. Obwohl die Arbeiter fern von ihren Arbeitsplätzen blieben und den Streik somit unterstützten, gab es auch eine große Anzahl von Arbeitern, die aufgrund der oben genannten und weiteren Faktoren nicht zum Streik erschienen. Dies zeigt, dass ihr Bewusstsein und ihr Organisationsgrad noch immer begrenzt sind.
Der Streik am 16. Juni setzte die Bosse und die Regierung in Bewegung. Vor dem Streik hatte die TOBB (Union der Kammern und Börsen in der Türkei), die höchste Arbeitgeberorganisationen, sich einschaltet und ein Treffen angesetzt. Als sich jedoch GIS-BIR weigerte, sich mit Limter-Is an einen Tisch zu setzen, wurde das Treffen abgesagt. Dies geschah durch den Einfluss, den der Streik bereits im Vorfeld ausübte. Die Organisation der Bosse, die die Vertreter der Limter-Is nicht mit am Tisch sitzen haben wollte, sah sich gezwungen, nach dem Streik ein großes Treffen durchzuführen, an dem auch Limter-Is teilnahm.
Durch den Einfluss, den der Streik vom 16. Juni ausgeübt hat, setzte sich auch Premierminister Erdogan in Bewegung und organisierte ein Treffen der Minister und Arbeitgeber. Nach diesem Treffen, zu dem Erdogan die Gewerkschaft Limter-Is nicht eingeladen hatte, erklärte er, dass von nun an Sicherheitsmaßnahmen gegen Aktionen der Limter-Is zu treffen sind und machte die Gewerkschaft somit zur Zielscheibe.
Der Streik vom 16. Juni hat die Polarisierung der Fronten etwas verschärft. Der legitime Kampf der Werftarbeiter und ihrer Gewerkschaft basiert auf der Linie des Klassengewerkschaft und zeigt den zu beschreitenden Weg im Kampf für Rechte und gegen neoliberale Angriffe. Die Maßnahmen, von denen Erdogan nach dem Treffen mit den Bossen sprach, sind ein Zeichen dafür, dass sich die Angriffe auf die Werftarbeiter und die Gewerkschaft Limter-Is stellvertretend für die Arbeiterklasse und jener Gruppen, die den militanten Kampf führen, häufen werden. Die Werftarbeiter und die Gewerkschaft Limter-Is haben erklärt, dass solche Drohungen keine Wirkung haben und dass sie ihren Kampf auf der Basis der legitimen Kampflinie fortsetzen werden. Was den Kampf der Arbeiterklasse weiter vorantreiben wird, sind die Arbeiter anderer Sektoren, die der legitimen Kampflinie folgend kämpfen, alle Angriffe auf die Werftarbeiter als Angriffe auf sich selbst beziehen und eine gemeinsame Klassenhaltung einnehmen.