01. März 2013 /Internationales Bulletin / Nr. 125 Am 17. Dezember 2010 entfachte der Funke des Aufstands von Muhammed Bouazizi in Tunesien ein Feuer, das rasch zu einem Flächenbrand wurde. Innerhalb von nur einem Monat breitete der Aufstand sich auf das ganze Land aus und am 14. Januar 2011 sah Zine el Abidine Ben Ali sich nach seiner 23jährigen Diktatur gezwungen, das Land fluchtartig zu verlassen. Die Folgen der ökonomischen Krise, das Fehlen politischer Freiheiten und die von imperialistischen Institutionen wie dem IWF und der Weltbank durchgeführten neoliberalen Angriffe sowie die Wut auf das mit dem Imperialismus kollaborierenden diktatorischen Regime führten zu der Entstehung einer revolutionären Massenbewegung, die die Diktatur hinwegfegte. Besonders der französische Imperialismus, der im Maghreb auch heute noch politisch und militärisch großen Einfluss hat, versuchte bis zuletzt seinen treuen Vasallen Ben Ali zu unterstützen und bot dem Diktator noch wenige Tage vor seiner Flucht Unterstützung durch die französische Polizei an. Nachdem alle Versuche den Diktator im Amt zu halten jedoch kläglich an dem entschlossenen Widerstand der Volksmassen gescheitert waren, standen die Imperialisten zuerst ohne Alternative dar. Die revolutionäre Bewegung stand aber auch ohne Alternative dar; es fehlte an einer entschlossenen Kraft, die gewillt und in der Lage war, die Grenzen des Kapitalismus zu überwinden und eine Alternative zu Unterdrückung, Ausbeutung und Abhängigkeit vom Imperialismus zu schaffen. Der Diktator war zwar gestürzt, die Diktatur mit all ihren Institutionen wie Polizei, Armee, Marionettenparlament und Senat sowie dem Justizwesen blieben jedoch unangetastet. Im Oktober 2011 kam es dann zu Wahlen, die die Partei des gemäßigten Islam Ennahda gewann, die viele Ähnlichkeiten mit der türkischen AKP aufweist. Doch die Ennahda scheint weniger als ihre türkische Bruderpartei in der Lage zu sein, ihre Rolle als Kettenhund des Imperialismus zu spielen und die Volksmassen ruhig zu halten. An der Situation der Bevölkerung, die vor zwei Jahren zum Aufstand führte, hat sich so gut wie nichts geändert: die Produktion in den Minen sinkt, nach wie vor beträgt die Arbeitslosenquote etwa achtzehn Prozent in Tunesien, die Lebensmittelpreise steigen weiter, eine neue Verfassung ist immer noch nicht verabschiedet und auch sonst haben sich keine Forderungen der Massenbewegung erfüllt. Im Gegenteil, die offen mit den Imperialisten der EU und der USA kollaborierende Koalitionsregierung unter Führung der Ennahda mit Beteiligung von den beiden kleineren Parteien Ettakol und Kongress für die Republik von Präsident Marzouki wird von einigen sogar als noch neoliberaler als das Ben Ali Regime bezeichnet und auch vor Mord und Terror scheint sie nicht zurückzuschrecken. Am 6. Februar 2013, gut zwei Jahre nach dem Beginn des revolutionären Aufstandes, wurde der Oppositionspolitiker Chokri Belaïd ermordet. Die Ermordung des Vorsitzenden der Vereinigten Demokratischen Patriotischen Partei, die ebenso wie die Arbeiterpartei Tunesiens Teil der Volksfront, einem Bündnis aus insgesamt zwölf Parteien ist, löste Massenproteste und Streiks aus, die in einer schweren politischen Krise und Rufen nach einer zweiten Revolution gipfelten. Auch wenn die Ennahda-Partei offiziell die Verantwortung für den Mordanschlag zurückweist, musste Ministerpräsident Hamadi Jebali infolge der Proteste und dadurch entstandener Streitigkeiten in seiner Partei am 19. Februar zurücktreten. Die Ennahda-Partei einigte sich schließlich Anfang März mit ihren beiden Koalitionspartnern auf die Bildung einer Übergangsregierung, in der nur das Amt des Ministerpräsidenten in den Händen der islamistischen Ennahda-Partei bleibt, die anderen Ministerien sollen von Technokraten besetzt werden. In Tunesien begann vor 2 Jahren eine revolutionäre Situation die zum Sturz einer Diktatur führte, die bestehenden Eigentumsverhältnisse aber nicht antastete. Die werktätigen Massen wollen nach wie vor nicht auf die alte Art regiert werden und auch die neue Regierung ist nicht in der Lage, das Land weiter wie bisher zu regieren. Während das Wählerpotential der Ennahda-Partei laut Umfragen auf unter 30% gesunken ist, steigen die Umfragenwerte der Volksfront auf über 12 Prozent. Aber auch die offiziell im Oktober 2012 gegründete Volksfront ist noch weder eine in sich einige Kraft noch in der Lage, den werktätigen Massen eine klare Perspektive zu bieten, obwohl sie ein bedeutendes Bündnis linker und revolutionärer Kräfte ist. Gleichzeitig nimmt der Einfluss radikaler islamischer Kräfte im Land zu und weiteren Umfragen zufolge wollen mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten nicht an den nächsten Wahlen teilnehmen, weil sie keiner der politischen Parteien trauen. Dieses Misstrauen liegt wohl daran, dass bis heute die Forderungen zu Beginn der Revolution nach „Brot, Gerechtigkeit, Würde, sozialen Rechten und Arbeit" nicht nur nicht erfüllt wurden, sondern auch keine glaubhaften Wege dahin aufgezeigt wurden. Auch die von der Volksfront geforderte Aussetzung der Rückzahlung ausländische Kredite an imperialistische Länder wie die USA, Frankreich, Deutschland, Belgien und die Golfstaaten über drei bis vier Jahre, durch die 18% des Staatshaushaltes frei werden würden, scheint der aufständischen Bevölkerung zu Recht nicht weit genug zu gehen. Während das tunesische Volk mutig und entschlossen für ein besseres Leben auf die Straßen strömt, fehlt es an einer Kraft, die politisch, ideologisch und organisatorisch in der Lage ist den Kampf um die Eroberung der Macht erfolgreich anzuführen und mit revolutionärer Entschlossenheit anzugehen. Nur wenn es der revolutionären Bewegung in Tunesien gelingt eine solche Organisation hervorzubringen wird sie es schaffen, aus der nächsten revolutionären Krise eine Revolution werden zu lassen, die die Grundfesten des Kapitalismus zerstört und eine neue Gesellschaft errichtet, die auf den Interessen der Arbeiter und Werktätigen beruht.
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