Serêkaniyê - Notizen aus dem Widerstand
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Internationales Bulletin / Ausgabe 205 / Dezember 2019 


Für die ehrenhaften Widerstandskämpfer*innen von Morgen

Die Erste Regel des Krieges lautet, ihn vorzubereiten.Vor allen Dingen müssen diese Vorbereitungen innerhalb der Gesellschaft konkret und praktisch, ganz und gar an die Kriegsvorbereitungen gebunden, getroffen werden. Zu aller erst ist es die aller grundlegendste Aufgabe, das Rückgrat der Selbstverteidigung des Volkes, die ideologische Bildung des Volkes und die Positionierung gegen die faschistische Besatzungspolitik sicher zu stellen.

Wir befinden uns in einem Moment in der Geschichte, in dem die Völker der Welt sich gleichzeitig erheben. Lateinamerika ist aufgewacht, Algerien und der Sudan rebellieren, der Irak, Libyen und Kurdistan haben sich erhoben. Die Wut, die sich in den Herzen der Unterdrückten ausgebreitet hat, strömt wie eine Sturzflut in die Straßen und die Notwendigkeit des revolutionären Krieges, der die Konterrevolution in die Knie zwingt, wird immer deutlicher.
Es ist offensichtlich, dass der Faktor, welcher das Schicksal der Aufstände bestimmt, die wir heute durchleben und morgen durchleben werden, der revolutionäre Krieg selbst ist. Rojava, wo ein Aufstand mit einem revolutionären Krieg zusammengetroffen ist und unter großen Opfern der Sieg errungen worden ist, ist das, was den Namen avantgardistische Revolution verdient. Die Erfahrung aus Rojava, die Städte zu erobern, Meter um Meter die unter Besatzung stehenden Städte zu befreien, verfügt über das wertvolle Potential, sämtliche revolutionären Kämpfen befeuern zu können.
Wir nähern uns der Vervollständigung des ersten Monats des ehrenhaften Widerstandes von Serêkaniyê, und wir finden den Namen dieses Widerstandes bereits niedergeschrieben in der Geschichte als eine der widerstandsreichsten Erfahrungen der Rojava-Revolution. Diesen großartigen revolutionären Widerstand und Krieg zu verstehen, ist ebenso wichtig, um die Rojava-Revolution in ihre Zukunft zu geleiten, wie als wegweisendes Leuchtfeuer für die Volksaufstände der ganzen Welt.
Die erste Regel des Krieges lautet, ihn vorzubereiten
Am 9. Oktober haben Kampflugzeuge mit der Bombardierung des Şehit-Serkan-Bataillon und Şehit-Alişer-Deniz-Regiment begonnen und noch an diesem selben Neunten wurden im ehrenhafte und pausenlose Widerstandskampf für die Geschichte des revolutionären Krieges der Unterdrückten eine bedeutende und hochaktuelle Erfahrung geschaffen. Vor allen Dingen wurde sich in dem Glauben geirrt, das wichtigste Gut der Menschheit sei die Technik. Hier wurde der Welt vor Augen geführt, wie angesichts des Besatzungsstaates der türkischen Republik, der mit Aufklärungs- und Kriegsflugzeugen, Panzern, Kugeln, Mörsern und Panzern angerückt ist, ein als kleine Armee organisierter Widerstand einen gewaltigen Widerstand organisieren kann.
Aus dieser Perspektive betrachtet ist der Widerstand von Serêkaniyê voll zahlloser Belege dafür, wie die zweitgrößte NATO-Armee, gegenüber der organisierten Kraft ausweglose Situationen erlebt hat. Mit diesem Niveau der Vorbereitung des Serêkaniyê-Widerstands wurde erreicht, dass „eine Handvoll" aufopferungsvoller Avantgardist*innen und zur Selbstverteidigung greifender fortschrittliche Militante der Volksmassen, trotz aller Nachteile, die Banden der türkischen Republik zu zehntausenden in die Knie gezwungen haben, es geschafft haben, deren hoch entwickelte technische Ausstattung in der Luft wie auf dem Boden ins Leere laufen zu lassen und die feindliche Seite zur einer Feuerpause zu zwingen.
Vom ersten Moment der Rojava-Revolution an haben sämtliche Erfahrungen gezeigt: Die revolutionäre Vorbereitung ist die erste Voraussetzung für den Sieg. Auch aus der Perspektive des ehrenhaften Widerstands von Serêkaniyê lässt sich sagen, dass sich in verschiedenen militärischen und politischen Kernbereichen vorbereitet wurde.
Weil die Vorbereitung keine einseitige Organisierungsarbeit ist, werden unterschiedlich gewichtige Aufgaben gleichzeitig und miteinander einhergehend ausgeführt. Wenn der Widerstand zum Erfolg führen soll, dann ist nur eine militärische Vorbereitung oder nur eine politische Vorbereitung nicht ausreichend. Manchmal kann selbst die Organisierung dieser beiden Arbeiten nicht ausreichend sein, um das grundlegendste zu gewährleisten. Die Vorbereitung erfordert die Schaffung von Klarheit im gesamten organisatorischen Bewusstsein, die Schaffung des gesellschaftlichen Überbaus, die Organisierung des Volkes und zu aller erst die notwendigen Vorbereitungen bezüglich der Logistik, der Stellungen des Kampfes und der Munition sowie einhergehend mit all dem den politisch-militärischen Aufbau. Alles untersteht der Autorität der materiellen Möglichkeiten und es besteht der Zwang, neue Möglichkeiten zu schaffen.
In dieser Hinsicht haben die Erfahrungen der militärischen Vorbereitung des Serêkaniyê-Widerstands gezeigt, dass die Dinge unvermeidbar intensiver werden und ein langer Atem bei der Vorbereitung unabdingbar ist. Unter den ersten vor den Kämpfen getroffenen grundlegenden Vorbereitungen waren die unterirdischen Tunnelarbeiten, Bildung zu den Aufgaben an den Stellungen im Kampf und die ideologisch-militärische Bildung der Kräfte - Vorbereitungen die dem Widerstand ein hohes Durchhaltevermögen verleihen. Die leitende Perspektive dieser Vorbereitungen ist es, den Widerstand möglichst lange aufrecht zu halten, ihn so weit wie möglich auszudehnen und durch die Verwandlung des Krieges in einen Volkskrieg die Besatzer zurückschlagen zu können.
Die Vorbereitung des revolutionären Krieges bedeutet zugleich auch, sich den Bewegungen des Feindes entsprechend zu positionieren. Die in den ersten Tagen des ehrenhaften Widerstandes begonnenen Vorbereitungsarbeiten haben sich darum gedreht, der technischen Überlegenheit des Feindes einen Riegel vorzuschieben. Insbesondere die Arbeit an den unterirdischen Tunnelsystemen waren ein direktes Resultat dessen. Diese Tunnelsysteme wurden gebaut, um Munitionsnachschub und die Erfüllung logistischer Bedürfnisse zu gewährleisten, um Verletzte in Sicherheit bringen zu können und um mit der Methode des Zuschlagens und Zurückziehens angreifen und wieder unter der Erde verschwinden zu können. Dieses System ist gleichzeitig der wirkungsvollste Weg die Aufklärungs- und Kampfflugzeuge, die der Feind mehr als alles andere einsetzt, nutzlos werden zu lassen.
Wenn wir den Widerstand dieser Kleinstädte verständlich machen wollen, dann muss unser erstes Thema sein, wie Serêkaniyê es verstanden hat, sich angesichts des Feindes zu organisieren und vorzubereiten. Gleichzeitig halten sich hier auch die Ursachen der Unzulänglichkeiten dieses Widerstandes verborgen. Trotz der Kenntnisse über die Bewegungsformen der Gegenseite hat sich so manche der Vorbereitungen im Moment des Krieges gegen die Kräfte der Revolution gewendet.
Eine weitere wichtige Erfahrung aus dem Widerstand von Serêkaniyê, die hervorgehoben werden muss, ist die Vorbereitung und Organisierung der Struktur der gesamten Stadt und der gesamten Architektur entsprechend der Bedürfnisse des Krieges. Beinahe eine richtige unterirdische Stadt ist so gegen den Angriff der Besatzungsarmee errichtet worden. Alles wurde bedacht, um einen langen, ausdauernden Widerstand zu ermöglichen. Auch der Aufbau der Stellungen unter freiem Himmel wurden verbunden mit der Arbeit an den Tunneln unter der Stadt. In Häusern, Gärten, Straßen und Gassen wurden Zugänge zum Tunnelsystem geschaffen, um die Kräfte an diesen Stellungen mit Munition und Logistik verstärken zu können.
Es wurden, angefangen mit der Studie der geografischen und soziologischen Strukturen, auf höchstem Niveau Kenntnisse über die Stadt gesammelt, so dass es möglich war, wie Dirigent*innen über die Abläufe in der Stadt zu bestimmen.
Militärische Vorbereitungen und ideologische Klarheit
Der Krieg hat seine eigenen Mittel. Wenn du nicht in der Lage bist, diese Mittel vollkommen und ausreichend zu benutzen, dann wirst du nicht in der Lage sein, den Verlauf des Krieges zu beeinflussen. Auch in dieser Hinsicht birgt der Krieg um Serêkaniyê wichtige Lehren. Es liegt auf der Hand, dass diese Vorbereitungen sich nach den Bewegungsmustern der feindlichen Armee gerichtet haben. Wir können sagen, dass diese Vorbereitungen, wenn sie auch zur richtigen Zeit geschehen sind, zugleich das Ausmaß und den Verlauf des Widerstandes geschwächt haben.
In den ersten Tagen des Besatzungskrieges wurde den Besatzern gezeigt, dass sie mit schweren Waffen und Sabotage-Aktionen der Revolutionskräfte konfrontiert sein werden. Und dass diese ihr keine Atempause lassen. Die Kräfte der Revolution haben die eigene Selbstverteidigung auf Grund ihrer Analysen der Bewegungsmuster des Feindes und der Lehren aus früheren Angriffen aufgebaut. Die Munitionslager wurden den Bedürfnissen entsprechend gefüllt und an verschiedenen Punkten der Stadt verteilt.
In dieser Hinsicht war auch die Aufgabe der Bildung der militärischen Kräfte als eine wichtige Stütze der Vorbereitung immer ein Punkt auf der Agenda. Bildung und Diskussionen über den ungleichen Charakter unseres Krieges ermöglichen ein besseres Verständnis der Notwendigkeit einer revolutionären Armee. Deshalb waren auch Bildungen mit den militärischen Kräften zur militärisch-ideologischen Taktik ein Teil der Kriegsvorbereitungen. Aus militärischer Sicht ist die Entwicklung von Durchhaltevermögen und Disziplin ein Element der Bildung. Und ein noch wichtigerer Teil sind die Bildungszweige, die auf die Überwindung der technischen Ungleichheit und auf die qualitative Weiterentwicklung der Kräfte abzielen. Aber ein Muss jeden Krieges ist eine Kommandantur mit hohen Kapazitäten. Mit diesem Ziel müssen unbedingt in systematischer Weise militärisch-ideologische Bildungen zur Taktik durchgeführt werden.
Aber innerhalb diesen Teils der Vorbereitungen ist der ideologische Aspekt mindestens genauso wichtig wie der militärische. Der Krieg um Serêkaniyê, die Erfolge und Misserfolge aus diesem Krieg, haben das noch deutlicher werden lassen. Hierbei ist es wichtig, sich klar zu machen, dass diejenigen, die das Rückgrat des Widerstandes gebildet haben und voller Glauben und Aufopferung Widerstand geleistet haben, die Kader*innen sind. Diese Entschlossenheit hat im engeren Umfeld einen Symbolcharakter entwickelt. An der Front von Serêkaniyê lautet die erste Regel, die gelernt wird, dass aus dem Kampf der Kommandant*innnen oder Avantgard*innen selbst die Ängstlichen Mut und Kühnheit schöpfen können. Aber obwohl diese Ideologie in die gesamte Kämpfer*innenstruktur getragen und darüber hinaus nach und nach unter dem Volk verbreitet worden ist, ist auch so manche Schwäche deutlich geworden.
Eine anderer Aspekt zur Erläuterung der ideologischen Bedeutung ist auch, dass der Gedanke „niemals dem Krieg zu entrinnen" sich in gewissem Maßen einen Weg in die Herzen und Köpfe gebahnt hat. Es von Zeit zu Zeit vorgekommen, dass die Lügen der imperialistischen Welt einen hemmenden Einfluss auf die militärischen Vorbereitungen gewinnen konnten. Es ist auch an einigen Stellen gelungen, das Vertrauen in die Kraft der Unterdrückten zu verunsichern. Es ist klar geworden, dass das Vertrauen in sich Selbst und in die Revolution, welches die Grundvoraussetzung dargestellt hat, um den Widerstand von Serêkaniyê führen zu können, Werte sind, die notwendigerweise verinnerlicht werden müssen, um die Revolution verteidigen zu können.
Der Schlüssel zum Sieg: Die Bewaffnung des Volkes
Es ist ein weiteres Mal deutlich geworden, dass es eine grundlegende Pflicht der Revolution ist, um der Ehre und Freiheit willen Widerstand zu leisten. In den kommenden Tagen werden wir sehen, dass die Rojava-Revolution auf Grundlage der Lehren, die sie aus den eigenen Erfahrungen zieht, sich weitaus stärker als zuvor organisieren wird.
Die erste Aufgabe bei der Organisierung der Selbstverteidigung des Volkes im Widerstand ist es, die Institutionen, die nicht zur revolutionären Armee gehören, auf den Krieg vorzubereiten. Die Arbeitsweise und die Aufgaben der Institutionen der Revolution sind mit dieser Perspektive den Erfordernissen des Krieges entsprechend reorganisiert worden. Sämtliche Möglichkeiten aller Arbeitsbereiche, wo auch immer diese sein mögen, angefangen bei sämtlichen Arbeiten innerhalb des Volkes, sind auf den Krieg fokussiert worden. Die früheren Aufgaben sind so organisiert worden, dass sie mit den Bedürfnissen des Krieges ineinandergreifen. Aber nicht jede dieser Vorbereitungen hat im Ergebnis in gleichem Maße zum Erfolg geführt.
Wie gesagt, parallel zu diesen Arbeiten wurde eine politische Kampagne zur Bewaffnung des Volkes geführt, gab es Bildungen zur Selbstverteidigung unter freiwilligen jungen Frauen und jungen Männern, Versammlungen zur Selbstverteidigung in den Kommunen und verschiedene Arbeiten im Rahmen der Kriegsvorbereitungen, um die fortschrittlichen, mit dem Umfeld der Avantgarde verbundenen Volksmassen über konkrete Aufgaben in die Kämpfe zu integrieren.
Aber es kann nicht geleugnet werden, dass es bei diesen intensiven Vorbereitungen auch manche Lücken gab. Es ist wichtig, diese mangelhaften Punkte aufzuzeigen, um die nächsten Schritte zu klären.
Zu aller erst muss sich in den konkreten, praktischen Vorbereitungen und in Abhängigkeit zu den gesamten Kriegsvorbereitungen innerhalb der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. Insbesondere ist die erste fundamentale Aufgabe der Revolution, das Rückgrat der Selbstverteidigung des Volkes die Bildung des Volkes im ideologischen Sinne und die Sicherung der Stellungen gegenüber der faschistischen Besatzungspolitik.
Aber sowieso lag ein Teil der Unzulänglichkeiten in Serêkaniyê darin, die anderen gesellschaftlichen Schichten zum Kämpfen zu bewegen, die sich im Rahmen der militärischen Kräfte beteiligen, die mit der Realität eines in einem militärischen System organisierten und bewaffneten Volkes einhergehen. Befassen wir uns näher mit den praktischen Mängeln in diesem Punkt: Die Bildung und die Stellungen der Stadtteil für Stadtteil und Wohnblock für Wohnblock gegründeten Selbstverteidigungskräfte war schwach und ungenügend. Es wurde nicht ausreichend organisiert, die Selbstverteidigungskräfte qualitativ zu entwickeln und sie auf ihre voraussichtlichen praktischen Arbeiten vorzubereiten. Wie gesagt, die Bildung ist auf Arbeiten begrenzt geblieben, die sich auf einzelne Ausbilder*innen und Kommandant*innen der Selbstverteidigungskräfte gerichtet haben.
Einhergehend mit all dem hat auch die Politik der Herrschenden und Imperialist*innen gegenüber der Rojava-Revolution ein ernstzunehmendes Hemmnis des Vertrauens des Volkes in seine eigene Kraft hinterlassen und zu dem Ergebnis geführt, dass das Volk auf diesen intensiven und gewaltsamen Prozess in psychologischer Hinsicht nicht ausreichend vorbereitet war. Es war auch nicht möglich, in der intensiven heißen Atmosphäre diese Zögerlichkeit umzuwandeln. Die Völker standen den Kriegsvorbereitungen im Großen und Ganzen auch nicht fern. Sie haben nicht gezögert, die logistische Unterstützung der Kämpfer*innen zu gewährleisten und ihre Häuser, Mittel und für die Bedürfnisse des Krieges zur Verfügung zu stellen. Und es muss erneut hervorgehoben werden: Ein bedeutender Teil der Völker Rojavas, annähernd hunderttausend, stehen in den Reihen der revolutionären Armee voll und ganz bereit ihre Aufgaben zu erfüllen. Die bleibenden Mängel bestanden darin, die nicht militärischen Schichten des Volkes im Rahmen der zivilen Selbstverteidigung zu organisieren.
Es liegt auf der Hand, dass, der Augenblick sowie die Führung des Krieges abhängig vom Grad der Vorbereitung, in den zukünftigen revolutionären Kämpfen mit angesammelten Ressourcen und Erfahrungen bereichert werden. Aber das soll Thema eines anderen Artikels sein. Hier sollen diejenigen Aspekte genannt sein, die mit der Vorbereitung des Krieges zu tun haben. Und in diesem Kontext ist Genosse Baran Serhat, der ein Kämpfer von Serêkaniyê war, in seinen Worten bestätigt worden. Er hat immer gesagt, der Sieg liebt die Vorbereitung. Auch die größeren Siege von morgen werden durch eine großartige Vorbereitung verwirklicht werden. Indem die Rojava-Revolution sich auf diese Vorbereitungen stützt, wird sie den unter Besatzung stehenden Boden befreien.
(Diese Notizen wurden von den Widerstandskämpfenden aus Serêkaniyê nach dem 1. Monat des historischen Widerstands gegen den türkischen Faschismus verfasst)

 

 

 

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Für die ehrenhaften Widerstandskämpfer*innen von Morgen

Die Erste Regel des Krieges lautet, ihn vorzubereiten.Vor allen Dingen müssen diese Vorbereitungen innerhalb der Gesellschaft konkret und praktisch, ganz und gar an die Kriegsvorbereitungen gebunden, getroffen werden. Zu aller erst ist es die aller grundlegendste Aufgabe, das Rückgrat der Selbstverteidigung des Volkes, die ideologische Bildung des Volkes und die Positionierung gegen die faschistische Besatzungspolitik sicher zu stellen.

Wir befinden uns in einem Moment in der Geschichte, in dem die Völker der Welt sich gleichzeitig erheben. Lateinamerika ist aufgewacht, Algerien und der Sudan rebellieren, der Irak, Libyen und Kurdistan haben sich erhoben. Die Wut, die sich in den Herzen der Unterdrückten ausgebreitet hat, strömt wie eine Sturzflut in die Straßen und die Notwendigkeit des revolutionären Krieges, der die Konterrevolution in die Knie zwingt, wird immer deutlicher.
Es ist offensichtlich, dass der Faktor, welcher das Schicksal der Aufstände bestimmt, die wir heute durchleben und morgen durchleben werden, der revolutionäre Krieg selbst ist. Rojava, wo ein Aufstand mit einem revolutionären Krieg zusammengetroffen ist und unter großen Opfern der Sieg errungen worden ist, ist das, was den Namen avantgardistische Revolution verdient. Die Erfahrung aus Rojava, die Städte zu erobern, Meter um Meter die unter Besatzung stehenden Städte zu befreien, verfügt über das wertvolle Potential, sämtliche revolutionären Kämpfen befeuern zu können.
Wir nähern uns der Vervollständigung des ersten Monats des ehrenhaften Widerstandes von Serêkaniyê, und wir finden den Namen dieses Widerstandes bereits niedergeschrieben in der Geschichte als eine der widerstandsreichsten Erfahrungen der Rojava-Revolution. Diesen großartigen revolutionären Widerstand und Krieg zu verstehen, ist ebenso wichtig, um die Rojava-Revolution in ihre Zukunft zu geleiten, wie als wegweisendes Leuchtfeuer für die Volksaufstände der ganzen Welt.
Die erste Regel des Krieges lautet, ihn vorzubereiten
Am 9. Oktober haben Kampflugzeuge mit der Bombardierung des Şehit-Serkan-Bataillon und Şehit-Alişer-Deniz-Regiment begonnen und noch an diesem selben Neunten wurden im ehrenhafte und pausenlose Widerstandskampf für die Geschichte des revolutionären Krieges der Unterdrückten eine bedeutende und hochaktuelle Erfahrung geschaffen. Vor allen Dingen wurde sich in dem Glauben geirrt, das wichtigste Gut der Menschheit sei die Technik. Hier wurde der Welt vor Augen geführt, wie angesichts des Besatzungsstaates der türkischen Republik, der mit Aufklärungs- und Kriegsflugzeugen, Panzern, Kugeln, Mörsern und Panzern angerückt ist, ein als kleine Armee organisierter Widerstand einen gewaltigen Widerstand organisieren kann.
Aus dieser Perspektive betrachtet ist der Widerstand von Serêkaniyê voll zahlloser Belege dafür, wie die zweitgrößte NATO-Armee, gegenüber der organisierten Kraft ausweglose Situationen erlebt hat. Mit diesem Niveau der Vorbereitung des Serêkaniyê-Widerstands wurde erreicht, dass „eine Handvoll" aufopferungsvoller Avantgardist*innen und zur Selbstverteidigung greifender fortschrittliche Militante der Volksmassen, trotz aller Nachteile, die Banden der türkischen Republik zu zehntausenden in die Knie gezwungen haben, es geschafft haben, deren hoch entwickelte technische Ausstattung in der Luft wie auf dem Boden ins Leere laufen zu lassen und die feindliche Seite zur einer Feuerpause zu zwingen.
Vom ersten Moment der Rojava-Revolution an haben sämtliche Erfahrungen gezeigt: Die revolutionäre Vorbereitung ist die erste Voraussetzung für den Sieg. Auch aus der Perspektive des ehrenhaften Widerstands von Serêkaniyê lässt sich sagen, dass sich in verschiedenen militärischen und politischen Kernbereichen vorbereitet wurde.
Weil die Vorbereitung keine einseitige Organisierungsarbeit ist, werden unterschiedlich gewichtige Aufgaben gleichzeitig und miteinander einhergehend ausgeführt. Wenn der Widerstand zum Erfolg führen soll, dann ist nur eine militärische Vorbereitung oder nur eine politische Vorbereitung nicht ausreichend. Manchmal kann selbst die Organisierung dieser beiden Arbeiten nicht ausreichend sein, um das grundlegendste zu gewährleisten. Die Vorbereitung erfordert die Schaffung von Klarheit im gesamten organisatorischen Bewusstsein, die Schaffung des gesellschaftlichen Überbaus, die Organisierung des Volkes und zu aller erst die notwendigen Vorbereitungen bezüglich der Logistik, der Stellungen des Kampfes und der Munition sowie einhergehend mit all dem den politisch-militärischen Aufbau. Alles untersteht der Autorität der materiellen Möglichkeiten und es besteht der Zwang, neue Möglichkeiten zu schaffen.
In dieser Hinsicht haben die Erfahrungen der militärischen Vorbereitung des Serêkaniyê-Widerstands gezeigt, dass die Dinge unvermeidbar intensiver werden und ein langer Atem bei der Vorbereitung unabdingbar ist. Unter den ersten vor den Kämpfen getroffenen grundlegenden Vorbereitungen waren die unterirdischen Tunnelarbeiten, Bildung zu den Aufgaben an den Stellungen im Kampf und die ideologisch-militärische Bildung der Kräfte - Vorbereitungen die dem Widerstand ein hohes Durchhaltevermögen verleihen. Die leitende Perspektive dieser Vorbereitungen ist es, den Widerstand möglichst lange aufrecht zu halten, ihn so weit wie möglich auszudehnen und durch die Verwandlung des Krieges in einen Volkskrieg die Besatzer zurückschlagen zu können.
Die Vorbereitung des revolutionären Krieges bedeutet zugleich auch, sich den Bewegungen des Feindes entsprechend zu positionieren. Die in den ersten Tagen des ehrenhaften Widerstandes begonnenen Vorbereitungsarbeiten haben sich darum gedreht, der technischen Überlegenheit des Feindes einen Riegel vorzuschieben. Insbesondere die Arbeit an den unterirdischen Tunnelsystemen waren ein direktes Resultat dessen. Diese Tunnelsysteme wurden gebaut, um Munitionsnachschub und die Erfüllung logistischer Bedürfnisse zu gewährleisten, um Verletzte in Sicherheit bringen zu können und um mit der Methode des Zuschlagens und Zurückziehens angreifen und wieder unter der Erde verschwinden zu können. Dieses System ist gleichzeitig der wirkungsvollste Weg die Aufklärungs- und Kampfflugzeuge, die der Feind mehr als alles andere einsetzt, nutzlos werden zu lassen.
Wenn wir den Widerstand dieser Kleinstädte verständlich machen wollen, dann muss unser erstes Thema sein, wie Serêkaniyê es verstanden hat, sich angesichts des Feindes zu organisieren und vorzubereiten. Gleichzeitig halten sich hier auch die Ursachen der Unzulänglichkeiten dieses Widerstandes verborgen. Trotz der Kenntnisse über die Bewegungsformen der Gegenseite hat sich so manche der Vorbereitungen im Moment des Krieges gegen die Kräfte der Revolution gewendet.
Eine weitere wichtige Erfahrung aus dem Widerstand von Serêkaniyê, die hervorgehoben werden muss, ist die Vorbereitung und Organisierung der Struktur der gesamten Stadt und der gesamten Architektur entsprechend der Bedürfnisse des Krieges. Beinahe eine richtige unterirdische Stadt ist so gegen den Angriff der Besatzungsarmee errichtet worden. Alles wurde bedacht, um einen langen, ausdauernden Widerstand zu ermöglichen. Auch der Aufbau der Stellungen unter freiem Himmel wurden verbunden mit der Arbeit an den Tunneln unter der Stadt. In Häusern, Gärten, Straßen und Gassen wurden Zugänge zum Tunnelsystem geschaffen, um die Kräfte an diesen Stellungen mit Munition und Logistik verstärken zu können.
Es wurden, angefangen mit der Studie der geografischen und soziologischen Strukturen, auf höchstem Niveau Kenntnisse über die Stadt gesammelt, so dass es möglich war, wie Dirigent*innen über die Abläufe in der Stadt zu bestimmen.
Militärische Vorbereitungen und ideologische Klarheit
Der Krieg hat seine eigenen Mittel. Wenn du nicht in der Lage bist, diese Mittel vollkommen und ausreichend zu benutzen, dann wirst du nicht in der Lage sein, den Verlauf des Krieges zu beeinflussen. Auch in dieser Hinsicht birgt der Krieg um Serêkaniyê wichtige Lehren. Es liegt auf der Hand, dass diese Vorbereitungen sich nach den Bewegungsmustern der feindlichen Armee gerichtet haben. Wir können sagen, dass diese Vorbereitungen, wenn sie auch zur richtigen Zeit geschehen sind, zugleich das Ausmaß und den Verlauf des Widerstandes geschwächt haben.
In den ersten Tagen des Besatzungskrieges wurde den Besatzern gezeigt, dass sie mit schweren Waffen und Sabotage-Aktionen der Revolutionskräfte konfrontiert sein werden. Und dass diese ihr keine Atempause lassen. Die Kräfte der Revolution haben die eigene Selbstverteidigung auf Grund ihrer Analysen der Bewegungsmuster des Feindes und der Lehren aus früheren Angriffen aufgebaut. Die Munitionslager wurden den Bedürfnissen entsprechend gefüllt und an verschiedenen Punkten der Stadt verteilt.
In dieser Hinsicht war auch die Aufgabe der Bildung der militärischen Kräfte als eine wichtige Stütze der Vorbereitung immer ein Punkt auf der Agenda. Bildung und Diskussionen über den ungleichen Charakter unseres Krieges ermöglichen ein besseres Verständnis der Notwendigkeit einer revolutionären Armee. Deshalb waren auch Bildungen mit den militärischen Kräften zur militärisch-ideologischen Taktik ein Teil der Kriegsvorbereitungen. Aus militärischer Sicht ist die Entwicklung von Durchhaltevermögen und Disziplin ein Element der Bildung. Und ein noch wichtigerer Teil sind die Bildungszweige, die auf die Überwindung der technischen Ungleichheit und auf die qualitative Weiterentwicklung der Kräfte abzielen. Aber ein Muss jeden Krieges ist eine Kommandantur mit hohen Kapazitäten. Mit diesem Ziel müssen unbedingt in systematischer Weise militärisch-ideologische Bildungen zur Taktik durchgeführt werden.
Aber innerhalb diesen Teils der Vorbereitungen ist der ideologische Aspekt mindestens genauso wichtig wie der militärische. Der Krieg um Serêkaniyê, die Erfolge und Misserfolge aus diesem Krieg, haben das noch deutlicher werden lassen. Hierbei ist es wichtig, sich klar zu machen, dass diejenigen, die das Rückgrat des Widerstandes gebildet haben und voller Glauben und Aufopferung Widerstand geleistet haben, die Kader*innen sind. Diese Entschlossenheit hat im engeren Umfeld einen Symbolcharakter entwickelt. An der Front von Serêkaniyê lautet die erste Regel, die gelernt wird, dass aus dem Kampf der Kommandant*innnen oder Avantgard*innen selbst die Ängstlichen Mut und Kühnheit schöpfen können. Aber obwohl diese Ideologie in die gesamte Kämpfer*innenstruktur getragen und darüber hinaus nach und nach unter dem Volk verbreitet worden ist, ist auch so manche Schwäche deutlich geworden.
Eine anderer Aspekt zur Erläuterung der ideologischen Bedeutung ist auch, dass der Gedanke „niemals dem Krieg zu entrinnen" sich in gewissem Maßen einen Weg in die Herzen und Köpfe gebahnt hat. Es von Zeit zu Zeit vorgekommen, dass die Lügen der imperialistischen Welt einen hemmenden Einfluss auf die militärischen Vorbereitungen gewinnen konnten. Es ist auch an einigen Stellen gelungen, das Vertrauen in die Kraft der Unterdrückten zu verunsichern. Es ist klar geworden, dass das Vertrauen in sich Selbst und in die Revolution, welches die Grundvoraussetzung dargestellt hat, um den Widerstand von Serêkaniyê führen zu können, Werte sind, die notwendigerweise verinnerlicht werden müssen, um die Revolution verteidigen zu können.
Der Schlüssel zum Sieg: Die Bewaffnung des Volkes
Es ist ein weiteres Mal deutlich geworden, dass es eine grundlegende Pflicht der Revolution ist, um der Ehre und Freiheit willen Widerstand zu leisten. In den kommenden Tagen werden wir sehen, dass die Rojava-Revolution auf Grundlage der Lehren, die sie aus den eigenen Erfahrungen zieht, sich weitaus stärker als zuvor organisieren wird.
Die erste Aufgabe bei der Organisierung der Selbstverteidigung des Volkes im Widerstand ist es, die Institutionen, die nicht zur revolutionären Armee gehören, auf den Krieg vorzubereiten. Die Arbeitsweise und die Aufgaben der Institutionen der Revolution sind mit dieser Perspektive den Erfordernissen des Krieges entsprechend reorganisiert worden. Sämtliche Möglichkeiten aller Arbeitsbereiche, wo auch immer diese sein mögen, angefangen bei sämtlichen Arbeiten innerhalb des Volkes, sind auf den Krieg fokussiert worden. Die früheren Aufgaben sind so organisiert worden, dass sie mit den Bedürfnissen des Krieges ineinandergreifen. Aber nicht jede dieser Vorbereitungen hat im Ergebnis in gleichem Maße zum Erfolg geführt.
Wie gesagt, parallel zu diesen Arbeiten wurde eine politische Kampagne zur Bewaffnung des Volkes geführt, gab es Bildungen zur Selbstverteidigung unter freiwilligen jungen Frauen und jungen Männern, Versammlungen zur Selbstverteidigung in den Kommunen und verschiedene Arbeiten im Rahmen der Kriegsvorbereitungen, um die fortschrittlichen, mit dem Umfeld der Avantgarde verbundenen Volksmassen über konkrete Aufgaben in die Kämpfe zu integrieren.
Aber es kann nicht geleugnet werden, dass es bei diesen intensiven Vorbereitungen auch manche Lücken gab. Es ist wichtig, diese mangelhaften Punkte aufzuzeigen, um die nächsten Schritte zu klären.
Zu aller erst muss sich in den konkreten, praktischen Vorbereitungen und in Abhängigkeit zu den gesamten Kriegsvorbereitungen innerhalb der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. Insbesondere ist die erste fundamentale Aufgabe der Revolution, das Rückgrat der Selbstverteidigung des Volkes die Bildung des Volkes im ideologischen Sinne und die Sicherung der Stellungen gegenüber der faschistischen Besatzungspolitik.
Aber sowieso lag ein Teil der Unzulänglichkeiten in Serêkaniyê darin, die anderen gesellschaftlichen Schichten zum Kämpfen zu bewegen, die sich im Rahmen der militärischen Kräfte beteiligen, die mit der Realität eines in einem militärischen System organisierten und bewaffneten Volkes einhergehen. Befassen wir uns näher mit den praktischen Mängeln in diesem Punkt: Die Bildung und die Stellungen der Stadtteil für Stadtteil und Wohnblock für Wohnblock gegründeten Selbstverteidigungskräfte war schwach und ungenügend. Es wurde nicht ausreichend organisiert, die Selbstverteidigungskräfte qualitativ zu entwickeln und sie auf ihre voraussichtlichen praktischen Arbeiten vorzubereiten. Wie gesagt, die Bildung ist auf Arbeiten begrenzt geblieben, die sich auf einzelne Ausbilder*innen und Kommandant*innen der Selbstverteidigungskräfte gerichtet haben.
Einhergehend mit all dem hat auch die Politik der Herrschenden und Imperialist*innen gegenüber der Rojava-Revolution ein ernstzunehmendes Hemmnis des Vertrauens des Volkes in seine eigene Kraft hinterlassen und zu dem Ergebnis geführt, dass das Volk auf diesen intensiven und gewaltsamen Prozess in psychologischer Hinsicht nicht ausreichend vorbereitet war. Es war auch nicht möglich, in der intensiven heißen Atmosphäre diese Zögerlichkeit umzuwandeln. Die Völker standen den Kriegsvorbereitungen im Großen und Ganzen auch nicht fern. Sie haben nicht gezögert, die logistische Unterstützung der Kämpfer*innen zu gewährleisten und ihre Häuser, Mittel und für die Bedürfnisse des Krieges zur Verfügung zu stellen. Und es muss erneut hervorgehoben werden: Ein bedeutender Teil der Völker Rojavas, annähernd hunderttausend, stehen in den Reihen der revolutionären Armee voll und ganz bereit ihre Aufgaben zu erfüllen. Die bleibenden Mängel bestanden darin, die nicht militärischen Schichten des Volkes im Rahmen der zivilen Selbstverteidigung zu organisieren.
Es liegt auf der Hand, dass, der Augenblick sowie die Führung des Krieges abhängig vom Grad der Vorbereitung, in den zukünftigen revolutionären Kämpfen mit angesammelten Ressourcen und Erfahrungen bereichert werden. Aber das soll Thema eines anderen Artikels sein. Hier sollen diejenigen Aspekte genannt sein, die mit der Vorbereitung des Krieges zu tun haben. Und in diesem Kontext ist Genosse Baran Serhat, der ein Kämpfer von Serêkaniyê war, in seinen Worten bestätigt worden. Er hat immer gesagt, der Sieg liebt die Vorbereitung. Auch die größeren Siege von morgen werden durch eine großartige Vorbereitung verwirklicht werden. Indem die Rojava-Revolution sich auf diese Vorbereitungen stützt, wird sie den unter Besatzung stehenden Boden befreien.
(Diese Notizen wurden von den Widerstandskämpfenden aus Serêkaniyê nach dem 1. Monat des historischen Widerstands gegen den türkischen Faschismus verfasst)