Warum will der türkische Staat das Raketenabwehrsystem S-400?
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 Internationales Bulletin / Ausgabe 201 / August 2019

Der S-400-Konflikt zwischen den USA und dem türkischen Staat hat, mit den ersten Lieferungen des russischen Raketenabwehrsystems S-400 an die Türkei am 25. Juli, ein neues Niveau erreicht. Als Reaktion darauf, wurde die Türkei aus dem amerikanischen Kampfjet-Programm F-35 ausgeschlossen.
Die Verhandlungen zwischen der Türkei und Russland über die S-400 begannen im Jahr 2016, ein Jahr nachdem die Türkei im Jahr 2015 ein russisches Kampfjet in der Nähe der Grenze zu Syrien abgeschossen hatte. Parallel zu einem bemerkenswerten Annäherungsprozess zwischen zwei Staaten, der sich insbesondere im Hinblick auf ihre mutmaßlich übereinstimmende Politik gegenüber Syrien entwickelt hat, führten die S-400-Verhandlungen Ende 2017 zu einem Abkommen über 2,5 Milliarden Dollar, bei dem Russland sich bereit erklärte, das NATO-Mitglied Türkei zu beliefern. Seitdem hat der türkische Staat trotz der Einwände und Drohungen des großen NATO-Chefs seine Position bewahrt und einige Vorauszahlungen geleistet sowie Darlehen von Russland erhalten. Während der faschistische Chef Erdoğan diesen Prozess als mutigen Schritt der türkischen Nation vermarktet, der das imperialistische System (!) herausfordere, hat die Russische Föderation auf der anderen Seite durch diesen Waffen-Deal nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht einen bedeutenden Gewinn erzielt, indem sie ein NATO-Mitglied an ihre Seite gezogen hat.
Was war der eigentliche Grund für die Türkei, das S-400-System und nicht das Patriot-Raketenabwehrsystem der NATO zu bevorzugen und damit eine Verschärfung des Konflikts mit den USA in Kauf zu nehmen? Beabsichtigt der faschistische Diktator Erdoğan wirklich, dem imperialistischen Einfluss der USA auf die Türkei einen Schlag zu versetzen, wie seine Lakaien Tag und Nacht herausposaunen? Führt er einen antiimperialistischen Kampf gegen die USA?
Natürlich nicht. Wie in seinen ersten Regierungsjahren arbeitet der heutige faschistische Chef Erdoğan weiterhin mit den USA, dem IWF, der Weltbank und anderen imperialistischen Staaten und Monopolen zusammen, um der Türkei als finanz-ökonomische Kolonie wirtschaftliche und politische Hürden zu ersparen. Die imperialistischen Monopole und ihre Kollaborateure beuten die werktätigen Massen immer noch mit den brutalsten Methoden aus und es gibt kein Hindernis für sie, den Profit außerhalb des Landes fließen zu lassen. Weder die USA noch Erdoğan werden zulassen, dass ihre kapitalistische Ausbeutungsbruderschaft ruiniert wird.
Warum hat die Türkei also den Weg des S-400-Raketenabwehrsystems eingeschlagen, der den Konflikt mit den USA vertieft? Der Grund ist nichts anderes als der kurdische Befreiungskampf, die Rojava-Revolution.
Wenn wir uns an die ersten Jahre des syrischen Bürgerkriegs erinnern, sehen wir, dass Erdoğan der loyalste Partner der USA gewesen ist, weil er blutig darauf aus war, vom regionalen Hegemonievakuum zu profitieren. Die kurdische Befreiung hat diese Farce jedoch entlarvt. Wenn die Rojava-Revolution nicht begonnen hätte, hätte Erdoğan Syrien bereits zusammen mit den USA erobert. Nachdem die Rojava-Revolution begonnen hat und ein heroischer Krieg gegen den IS geführt wurde, waren die USA gezwungen, eine taktische Allianz mit den Demokratischen Kräften Syriens aufzubauen. Dies führte den türkischen Staat an Russland heran, um die Errungenschaften der Kurden zu zerstören. Der faschistische Chef Erdoğan ist sich der Tatsache bewusst, dass weder seine regionale Vormachtstellung noch seine eigene faschistische Existenz aufrechterhalten werden können, wenn die Rojava-Revolution weiter voranschreitet. Diese existenzielle Angst des türkischen Staates vor dem kurdischen Befreiungskampf ist der eigentliche Grund für den Kauf des Raketenabwehrsystems S-400.
Man kann sagen, dass die kurdischen Kräfte in Rojava doch keine Raketen haben, die eine Bedrohung für die Türkei darstellen könnten. Ja, das ist wahr. Deshalb hat das S-400-System in diesem Bild keine militärische Bedeutung. Es ist jedoch ein Lösegeld für die Annäherung an Russland, das Erdoğan als „politische Waffe" einsetzt, um die USA von den kurdischen Kräften in Rojava zu distanzieren oder die USA zumindest gegen die faschistische und kolonialistische Feindseligkeit des türkischen Staates völlig neutral werden zu lassen.
In dieser Gleichung kommt der faschistische Chef Russland immer näher, um seine politische Zukunft zu retten, während Russland als imperialistische Macht jede Gelegenheit nutzt, um die Türkei an seine Seite zu ziehen. Wirtschaftsbeziehungen und Klasseninteressen können den faschistischen Chef jedoch dazu zwingen, seine Seite wieder zu wechseln.
Um es noch einmal klar zu sagen: Die Türkei ist eine finanz-ökonomische Kolonie der Weltmonopole. Die imperialistischen Staaten und ihre lokalen Kollaborateure sind die Vertreter der Interessen der globalen Finanzoligarchie und monopolistischen Bourgeoisien. Die türkische Wirtschaft wurde in den Weltmarkt integriert, der von den Weltmonopolen dominiert wird, und Erdoğan hat in diesem Prozess eine wichtige Rolle gespielt.
Hat der türkische Staat die Macht, den politischen Überbau in eine andere Richtung zu lenken, obwohl er seine wirtschaftlichen Beziehungen vollständig an die Finanzoligarchie geknüpft hat? Wir vertreten hier nicht, dass die ökonomischen Verhältnisse den politischen Überbau eins zu eins bestimmen. Dies wäre nichts Anderes als wirtschaftlicher Determinismus. Es besteht kein Zweifel, dass Widersprüche zwischen den herrschenden Klassen, der Kampf zwischen den Unterdrückern und den Unterdrückten, sowie der Klassenkampf alle auf dem Feld der Politik erscheinen und damit Raum für verschiedene Manöver schaffen.
Die ökonomischen Verhältnisse sind jedoch letztendlich ausschlaggebend und aufgrund der Abhängigkeit der Türkei als eine finanz-ökonomischen Kolonie besteht in gewissem Maße Handlungsspielraum. Diese Ausdehnung hört dort auf, wo politische Manöver die Interessen der Finanzoligarchie als Klasse bedrohen. Wenn die Finanzoligarchie mit einer solchen Bedrohung konfrontiert ist, wird sie nicht zögern, diese finanz-ökonomische Kolonialabhängigkeit in eine politische Erpressung gegen Erdoğan umzuwandeln. Einige Teile der Finanzoligarchie haben bereits begonnen, andere bürgerliche politische Alternativen vorzubereiten, die sich in den Versuchen von Erdoğans früheren Weggefährten, neue Parteien zu gründen, oder im „Aufstieg" der bürgerlichen Opposition, der Republikanischen Volkspartei ( CHP ), manifestieren.
Alles in allem scheint der faschistische Chef Erdoğan, wie in der S-400-Krise, weiterhin die „russische Waffe" in der Hand zu haben, um sich einen Handlungsspielraum gegen die US-Hegemonie zu verschaffen, die ein konjunkturelles Hindernis für den türkischen Kolonialismus darstellt, der eine sofortige Besetzung von Rojava beginnen will. Bisher scheint es nicht genug zu sein, vom F-35-Programm ausgeschlossen zu werden, um den „frechen" NATO-Partner von seinem Vorhaben abzubringen. Die „antiimperialistischen" Grenzen des türkischen Staates werden sich nach einer möglichen Niederlage in Rojava oder anderen Sanktionen der USA zeigen.

 

 

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Der S-400-Konflikt zwischen den USA und dem türkischen Staat hat, mit den ersten Lieferungen des russischen Raketenabwehrsystems S-400 an die Türkei am 25. Juli, ein neues Niveau erreicht. Als Reaktion darauf, wurde die Türkei aus dem amerikanischen Kampfjet-Programm F-35 ausgeschlossen.
Die Verhandlungen zwischen der Türkei und Russland über die S-400 begannen im Jahr 2016, ein Jahr nachdem die Türkei im Jahr 2015 ein russisches Kampfjet in der Nähe der Grenze zu Syrien abgeschossen hatte. Parallel zu einem bemerkenswerten Annäherungsprozess zwischen zwei Staaten, der sich insbesondere im Hinblick auf ihre mutmaßlich übereinstimmende Politik gegenüber Syrien entwickelt hat, führten die S-400-Verhandlungen Ende 2017 zu einem Abkommen über 2,5 Milliarden Dollar, bei dem Russland sich bereit erklärte, das NATO-Mitglied Türkei zu beliefern. Seitdem hat der türkische Staat trotz der Einwände und Drohungen des großen NATO-Chefs seine Position bewahrt und einige Vorauszahlungen geleistet sowie Darlehen von Russland erhalten. Während der faschistische Chef Erdoğan diesen Prozess als mutigen Schritt der türkischen Nation vermarktet, der das imperialistische System (!) herausfordere, hat die Russische Föderation auf der anderen Seite durch diesen Waffen-Deal nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht einen bedeutenden Gewinn erzielt, indem sie ein NATO-Mitglied an ihre Seite gezogen hat.
Was war der eigentliche Grund für die Türkei, das S-400-System und nicht das Patriot-Raketenabwehrsystem der NATO zu bevorzugen und damit eine Verschärfung des Konflikts mit den USA in Kauf zu nehmen? Beabsichtigt der faschistische Diktator Erdoğan wirklich, dem imperialistischen Einfluss der USA auf die Türkei einen Schlag zu versetzen, wie seine Lakaien Tag und Nacht herausposaunen? Führt er einen antiimperialistischen Kampf gegen die USA?
Natürlich nicht. Wie in seinen ersten Regierungsjahren arbeitet der heutige faschistische Chef Erdoğan weiterhin mit den USA, dem IWF, der Weltbank und anderen imperialistischen Staaten und Monopolen zusammen, um der Türkei als finanz-ökonomische Kolonie wirtschaftliche und politische Hürden zu ersparen. Die imperialistischen Monopole und ihre Kollaborateure beuten die werktätigen Massen immer noch mit den brutalsten Methoden aus und es gibt kein Hindernis für sie, den Profit außerhalb des Landes fließen zu lassen. Weder die USA noch Erdoğan werden zulassen, dass ihre kapitalistische Ausbeutungsbruderschaft ruiniert wird.
Warum hat die Türkei also den Weg des S-400-Raketenabwehrsystems eingeschlagen, der den Konflikt mit den USA vertieft? Der Grund ist nichts anderes als der kurdische Befreiungskampf, die Rojava-Revolution.
Wenn wir uns an die ersten Jahre des syrischen Bürgerkriegs erinnern, sehen wir, dass Erdoğan der loyalste Partner der USA gewesen ist, weil er blutig darauf aus war, vom regionalen Hegemonievakuum zu profitieren. Die kurdische Befreiung hat diese Farce jedoch entlarvt. Wenn die Rojava-Revolution nicht begonnen hätte, hätte Erdoğan Syrien bereits zusammen mit den USA erobert. Nachdem die Rojava-Revolution begonnen hat und ein heroischer Krieg gegen den IS geführt wurde, waren die USA gezwungen, eine taktische Allianz mit den Demokratischen Kräften Syriens aufzubauen. Dies führte den türkischen Staat an Russland heran, um die Errungenschaften der Kurden zu zerstören. Der faschistische Chef Erdoğan ist sich der Tatsache bewusst, dass weder seine regionale Vormachtstellung noch seine eigene faschistische Existenz aufrechterhalten werden können, wenn die Rojava-Revolution weiter voranschreitet. Diese existenzielle Angst des türkischen Staates vor dem kurdischen Befreiungskampf ist der eigentliche Grund für den Kauf des Raketenabwehrsystems S-400.
Man kann sagen, dass die kurdischen Kräfte in Rojava doch keine Raketen haben, die eine Bedrohung für die Türkei darstellen könnten. Ja, das ist wahr. Deshalb hat das S-400-System in diesem Bild keine militärische Bedeutung. Es ist jedoch ein Lösegeld für die Annäherung an Russland, das Erdoğan als „politische Waffe" einsetzt, um die USA von den kurdischen Kräften in Rojava zu distanzieren oder die USA zumindest gegen die faschistische und kolonialistische Feindseligkeit des türkischen Staates völlig neutral werden zu lassen.
In dieser Gleichung kommt der faschistische Chef Russland immer näher, um seine politische Zukunft zu retten, während Russland als imperialistische Macht jede Gelegenheit nutzt, um die Türkei an seine Seite zu ziehen. Wirtschaftsbeziehungen und Klasseninteressen können den faschistischen Chef jedoch dazu zwingen, seine Seite wieder zu wechseln.
Um es noch einmal klar zu sagen: Die Türkei ist eine finanz-ökonomische Kolonie der Weltmonopole. Die imperialistischen Staaten und ihre lokalen Kollaborateure sind die Vertreter der Interessen der globalen Finanzoligarchie und monopolistischen Bourgeoisien. Die türkische Wirtschaft wurde in den Weltmarkt integriert, der von den Weltmonopolen dominiert wird, und Erdoğan hat in diesem Prozess eine wichtige Rolle gespielt.
Hat der türkische Staat die Macht, den politischen Überbau in eine andere Richtung zu lenken, obwohl er seine wirtschaftlichen Beziehungen vollständig an die Finanzoligarchie geknüpft hat? Wir vertreten hier nicht, dass die ökonomischen Verhältnisse den politischen Überbau eins zu eins bestimmen. Dies wäre nichts Anderes als wirtschaftlicher Determinismus. Es besteht kein Zweifel, dass Widersprüche zwischen den herrschenden Klassen, der Kampf zwischen den Unterdrückern und den Unterdrückten, sowie der Klassenkampf alle auf dem Feld der Politik erscheinen und damit Raum für verschiedene Manöver schaffen.
Die ökonomischen Verhältnisse sind jedoch letztendlich ausschlaggebend und aufgrund der Abhängigkeit der Türkei als eine finanz-ökonomischen Kolonie besteht in gewissem Maße Handlungsspielraum. Diese Ausdehnung hört dort auf, wo politische Manöver die Interessen der Finanzoligarchie als Klasse bedrohen. Wenn die Finanzoligarchie mit einer solchen Bedrohung konfrontiert ist, wird sie nicht zögern, diese finanz-ökonomische Kolonialabhängigkeit in eine politische Erpressung gegen Erdoğan umzuwandeln. Einige Teile der Finanzoligarchie haben bereits begonnen, andere bürgerliche politische Alternativen vorzubereiten, die sich in den Versuchen von Erdoğans früheren Weggefährten, neue Parteien zu gründen, oder im „Aufstieg" der bürgerlichen Opposition, der Republikanischen Volkspartei ( CHP ), manifestieren.
Alles in allem scheint der faschistische Chef Erdoğan, wie in der S-400-Krise, weiterhin die „russische Waffe" in der Hand zu haben, um sich einen Handlungsspielraum gegen die US-Hegemonie zu verschaffen, die ein konjunkturelles Hindernis für den türkischen Kolonialismus darstellt, der eine sofortige Besetzung von Rojava beginnen will. Bisher scheint es nicht genug zu sein, vom F-35-Programm ausgeschlossen zu werden, um den „frechen" NATO-Partner von seinem Vorhaben abzubringen. Die „antiimperialistischen" Grenzen des türkischen Staates werden sich nach einer möglichen Niederlage in Rojava oder anderen Sanktionen der USA zeigen.